Interview WSV-Ass-Stiepermann: „Der Charakter der Mannschaft ist überragend“

Wuppertal · Marco Stiepermann blickt im WZ-Gespräch auf seine erfolgreiche Karriere und zwei Jahre Premier League – beim WSV will er Spaß am Fußball haben und möglichst noch einmal aufsteigen. Seine Kollegen hier lobt er ausdrücklich.

 Marco Stiepermann am Donnerstag zwischen zwei Trainingseinheiten im ausführlichen Gespräch mit WZ-Fußball-Experte Andreas Boller.

Marco Stiepermann am Donnerstag zwischen zwei Trainingseinheiten im ausführlichen Gespräch mit WZ-Fußball-Experte Andreas Boller.

Foto: Günter Hiege

Marco Stiepermann gilt als Königstransfer von Fußball-Regionalligist Wuppertaler SV, der sich für die neue Saison viel vorgenommen hat. Darüber und über seine Karriere, die ihn auch vier Jahre nach England geführt hatte, wo ihm mit Norwich City zweimal der Aufstieg in die Premier League gelang, sprachen wir mit dem 31 Jahre alten Offensivmann.

 Sie kommen gerade von der Trainingseinheit, Kopf, Beine, Bauch – wie geht es denen?

Marco Stiepermann: Nach vier Wochen Vorbereitung ist es schon so, dass man auf die Zielgerade zugeht, wo man mal schwere Bein hat, das ist normal, aber die Vorfreude steigt natürlich, dem ersten Spiel entgegenzugehen.

Wie ist das Bauchgefühl?

Stiepermann: Das ist gut, muss ich sagen.

Blicken wir mal zurück in ihrer Karriere. Vergleichen sie Sommer 2019 und 2020. 2019 war ja von Corona noch keine Rede. Wo standen Sie da?

Stiepermann: Ich glaube, da war ich in der Form meines Lebens. Der Aufstieg 2019 in die Premier League, was der größte Karriereschritt für mich war, den ich machen konnte. Ein Jahr später sitzt man dann im Sommer zu Hause und weiß gefühlt nicht, was los ist, hat Corona.

Man sagt ja, es gibt keinen Aufstieg, der mehr Geld freisetzt als der in England aus der Championship in die Premier League. Bei Huddersfield wurden 300 Millionen Pfund kolportiert. Wie war das, haben die bei Norwich goldene Wasserhähne im Stadion eingebaut?

Stiepermann: Es war natürlich etwas ganz Besonderes, weil es für uns sehr unerwartet kam. Wir waren eigentlich nicht mit Ambitionen in die Saison gegangen, unbedingt aufsteigen zu müssen, wollten nur eine gute Rolle spielen, haben dann aber in der Saison gemerkt, dass es lief. Mit dem Aufstieg haben wir uns auf jeden Fall in die Geschichtsbücher geschrieben, weil wir die Rekordpunktemarke erzielt haben, die Norwich noch nie erreicht hatte. Infolgedessen konnten wir uns schon als Mannschaft ein kleines Denkmal setzen. So eine Konstanz über 46 Spiele zu zeigen, das ist eine Klasse und eine Teameigenschaft. Da konnte man wirklich jeden Spieler ersetzen.

Sie waren unter Daniel Farke, der jetzt Trainer in Gladbach ist,  damals Stammspieler?

Stiepermann: Ja, ich habe 43 Spiele von Anfang an gemacht.

Dann 2020 Corona und in dem Jahr auch wieder abgestiegen . . .

Stiepermann: Genau. Die Saison war natürlich eine tolle Erfahrung. Die Hinrunde noch vor vollem Haus, die Rückrunde aber dann leider gefühlt ohne Zuschauer, was für Spieler schade ist, die wirklich nur ein oder zwei Jahre in der Premier League spielen. Dass wir beispielsweise in ManCity vor leeren Rängen gespielt haben, war schon traurig,  da hattest du aber immer noch das Gefühl gegen die besten Spieler der Welt zu spielen.

Ihre Position im Team?

Stiepermann: Ich war der Zehner, die zweite Spitze praktisch mit Teemo Pukki zusammen, den man ja noch aus Schalke kennt.

Dann 2020 Corona und dann kamen schwierigere  Jahre. . .

Stiepermann: Natürlich, dann habe ich mein viertes Jahr Championship noch mitgemacht, wo wir wieder aufgestiegen sind. Es war aber auch eine lange Leidenszeit bei mir, weil man nicht wusste, was dies genau ist bei mir. Long Covid war da noch Neuland. Die Zeit hat einen persönlich aber noch stärker gemacht, wir sind als Familie enger zusammengerückt. Es hat aber natürlich auch gezeigt, was es mit einem Menschen machen kann, gerade, wenn du Leistungssportler bist.

 Natürlich geht es im Interview um den WSV, aber auch um seine vier Jahre bei Norwich, mit zwei Aufstiegen in die Premier League.

Natürlich geht es im Interview um den WSV, aber auch um seine vier Jahre bei Norwich, mit zwei Aufstiegen in die Premier League.

Foto: picture alliance/dpa/Joe Giddens

Passt das jetzt wieder alles vom Gefühl her  – Kopf - Bauch - Beine?

Stiepermann: Auf jeden Fall, sonst hätte ich nicht weitergespielt. Wenn ich merken würde, dass mein Körper nicht mehr mitmacht, würde ich ganz klar die Notbremse ziehen und sagen, okay, du hattest jetzt elf gut Jahre im Fußball, der Körper macht nicht mehr mit, dann musst du halt etwas anderes machen. Aber ich habe das Gefühl, dass mein Körper mir wieder mehr zurückgibt, ich hoffe, dass das so bleibt und versuche, jeden Tag zu genießen, an dem ich Fußball spielen kann, weil ich weiß, dass das Fußballerleben das schönste ist.

In den Testspielen hat man den Spaß, den Sie haben, auch gesehen. Ihre Auswechslung gegen Ratingen schien Ihnen gar nicht so gefallen  zu haben?

Stiepermann: Ich hätte gern noch ein bisschen weitergespielt. Ich bin 31, und wenn mein Körper mir das zurückgibt, was er vorher gemacht hat, dann bin ich sehr zufrieden. Ich war mein Leben lang mehr oder weniger verletzungsfrei, und von daher will ich einfach nur Spaß am Fußball haben, das Gefühl, Erfolg zu haben, vielleicht einen Aufstieg mitnehmen, ob in dieser Saison oder vielleicht in der nächsten. Ich habe es zum Glück jetzt zweimal miterleben dürfen, auch schon Abstiege, aber der Aufstieg ist das, was man eher mitnimmt.

Haben bei Norwich  die Vereinsverantwortlichen gesagt, „Jungs, habt ihr gut gemacht, der Rolls Royce steht vor der Tür“?

Stiepermann (lacht): Ja, so ähnlich. Man muss ganz offen und ehrlich sagen, was da an Geld fließt, ist auf eine Art und Weise schon pervers. Aber halt auch mit dem Hintergrund, was man wirklich in einem Jahr leistet. Ja, wir sind gut bezahlte Fußballer und vielleicht auch manchmal überbezahlt, aber was dahintersteckt, das sieht mancher nicht.  Was man seinem Körper antut, was man seiner Familie antut, wenn  man jeden Mittwoch oder jeden Samstag nicht da ist und zweimal am Tag Training hat auf dem Level, dann ist das halt auch schon ein anderes Leben.

Jetzt leben Sie wieder in Dortmund?

Stiepermann: Ja, ich bin gebürtiger Dortmunder, wohne jetzt im schönen Dortmunder Süden in Wellinghofen.

Das ist auch ein Fahrtaufwand nach Wuppertal. . .

Stiepermann: Wenn man vier Jahre in England gelebt hat, seit ich 20 war, weg von zu Hause war, in Cottbus gelebt  hat oder in Fürth mit meiner Frau, so weit rumgekommen ist, sehnt man sich schon ein bisschen nach einer Art Homebase, die man in einem heimischen Umfeld hat. Ohne Familie zu leben, Eltern, Oma, Opa, Bruder – das ist schon etwas anderes. Es gibt viele, die sagen, ich wär ja so gern weg aus Dortmund, ich kann die Stadt nicht mehr sehen. Dann sage ich, geht doch mal ein Jahr weg und dann sagt mir mal, ob ihr noch die gleiche Meinung habt.

WSV-Trainer Björn Mehnert hat auch eine Dortmunder Vergangenheit. Seid Ihr Euch damals über den Weg gelaufen als Spieler?

Stiepermann. Ach nein, ich glaube, da war ich ja noch Quark im Schaufenster. Klar, ich kenne seinen Namen, habe auch einige Bilder von ihm gesehen.

Hat aber nicht den Ausschlag gegeben, zum WSV zu kommen?

Stiepermann: Nein, es waren einfach die Gespräche.

Es hat gepasst von ihren Zielen und  Vorstellungen her . . .

Stiepermann: Erst einmal war es so, dass ich mich in Paderborn in der 2. Liga noch einmal beweisen wollte, was dann letztendlich nicht gepasst hat. Das ist auch okay, passiert mal in einer Karriere. Wir haben uns aber letztes Jahr schon gesagt, dass wir auf jeden Fall in Dortmund wohnen bleiben, als wir aus Norwich gekommen sind. So war es nach Paderborn jetzt auch wieder für mich. Ich hatte auch zwei, drei Anfragen aus der 2. Liga, aber für mich war ganz klar, dass wir in Dortmund wohnen bleiben. Und dann hat sich der WSV gemeldet. Die Gespräche waren echt sehr angenehm und ich war von dem Projekt überzeugt, so schnell kann sich etwas verbinden. . .

War die Regionalliga im vergangenen Jahr überhaupt irgendwie in ihrem Blickfeld?

Stiepermann: Ganz ehrlich, ich verfolge Fußball schon sehr, auch die vierte Liga, aber man muss klar sagen, dass es für mich nachher nur Münster und Essen waren, weil die in der Rückrunde so eng aneinander waren und du hast an jedem Spieltag geschaut, wie haben sie gespielt. Die anderen Vereine lässt man etwas außen vor, und Wuppertal hatte ich nicht so in meinem Blickfeld. Deshalb kam das umso überraschender für mich, aber die haben mich definitiv von ihrem Projekt überzeugt.

Im vergangenen Jahr haben Kevin Pires und Felix Backszat ein Duo gebildet, das das Herz der Mannschaft  war. Jetzt hat man das Gefühl,  Pires und  Stiepermann – das könnte hinhauen. Wie ist ihr Gefühl mit ihm?

Stiepermann: Über seine fußballerischen Qualitäten brauchen wir nicht zu reden. Für mich persönlich ist es fast schade, mit ihm hier zu spielen, weil er auf jeden Fall ein, zwei Ligen höher hingehört. Und das kann man hier, nach allem, was ich in meiner Karriere und hier bisher gesehen habe, locker von sechs, sieben Spielern behaupten. Das macht es aber dann aus. Es kommt ja nicht auf die Einzelspieler an, sondern darauf, wie man als Team funktioniert.  Das habe ich bei meinen Aufstiegen miterlebt, dass es nicht auf die individuellen Qualitäten ankommt, sondern darauf, wie agierst du als Mannschaft, wie sehr hältst du zusammen, wenn du auch mal ein Spiel verlierst oder vielleicht auch mal zwei, drei. Wie du dann den Schalter wieder umlegst. Da gibt es dann auch Spieler, die gegen den Strom schwimmen, die du dann komplett in deinen Bann ziehen  musst, um es wieder geradezubiegen.

Ihre Stellung in der Mannschaft sieht man auf dem Platz sofort. Wir kennen das Team ja auch aus dem letzten Jahr, wo interne Probleme offenbar das kleinste Problem waren.

Stiepermann: Definitiv. Wenn du aus der 2. Liga kommst und den Schritt wagst, in den – in Anführungsstrichen – Amateurfußball zu gehen, hast du natürlich auch ein bisschen Bauchschmerzen. Aber jetzt nach vier Wochen kann  ich sagen, war es echt ein guter Schritt, weil die Mannschaft wirklich  charakterlich überragend ist. So etwas habe ich selten erlebt. So wie der Trainer das schon zu mir gesagt hat, dass der Charakter der Mannschaft die große Stärke ist. Das hat sie bewiesen.

Es ist sicher auch wichtig, zu sehen, dass sie ihr Können nicht  vergeuden ...

Stiepermann: Ja genau. Ich bin ja auch nicht in die 4. Liga gekommen, um rumzudümpeln. Ich will Erfolg haben, sonst wäre ich den Schritt nicht gegangen. Ich werde nicht zufrieden sein, Achter, Neunter zu werden.

Die Zuschauer, die in der vergangenen Saison viele gute Spiele gesehen haben, dürfen sich freuen, mit Ihnen jemanden zu sehen, der auch Fußball spielt.

Stiepermann: Ob dabei dann in jedem Spiel etwas rumkommt, wird man sehen, aber ich werde schon versuchen, bei jedem Spiel mein Herz auf dem Platz zu lassen. Ich glaube, das ist immer noch wichtiger für die Fans. Ich würde mir natürlich wünschen, wenn wir auch irgendwann mal ein volles Stadion haben. Mein Vater, der auch ein begnadeter Fußballfan ist, hat mir erzählt, was hier früher los war. Wenn man das mal wieder erwecken könnte, was für ein Potenzial hier in der Stadt und im Verein steckt, wär das klasse – vielleicht nicht von heut auf morgen, aber Stück für Stück. Ist ja eigentlich schon absurd, wenn du hier mehr als 300 000 Einwohner hast und es kommen leider nur 2000, 3000 Zuschauer ins Stadion.

Haben Ihre Mitspieler schon alle kapiert, was Sie wollen, wenn Sie die Bälle verteilen oder ist das noch im Zusammenwachsen?

Stiepermann: Die Findungsphase ist jetzt so langsam vorbei. Natürlich braucht es ein paar Tage, bis man weiß, wo ich die Bälle hinhaben will, aber jetzt gehen wir auf die Zielgerade zu und es sind nur noch die ganz kleinen Feinabstimmungen, die noch kommen müssen. Wir haben jetzt noch eine Generalprobe am Wochenende und dann sieht man, glaube ich, in welche Form wir uns gebracht haben.

Wann spielen Sie, am Samstag in Kassel oder am Sonntag in Wuppertal gegen Utrecht?

Stiepermann: Das steht noch nicht fest.

Danke für das Gespräch.

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