Umsiedlungen vor WM-2014 sorgen für Unmut in Rio

Rio de Janeiro (dpa) - In der Stadt am Zuckerhut tickt die Uhr. Weniger als 1000 Tage sind es noch bis zur Fußball-WM 2014 und in Rio de Janeiro soll das Finale ausgetragen werden. 2013 schon steht der Confederations-Cup in Brasilien an, im selben Jahr pilgert die katholische Weltjugend nach Rio.

Auch die Olympischen Spiele 2016 rücken immer näher. Die Stadt muss sich sputen, will sie die ehrgeizigen Infrastrukturprojekte rechtzeitig umsetzen. Dabei ist die Stadtverwaltung nicht zimperlich mit der Wahl der Mittel, kritisieren Menschenrechtler, die Zwangsumsiedlungen in den Favelas anprangern.

Während die Fußball-Fans in den anderen südamerikanischen Ländern der WM-Qualifikation entgegenfiebern, rumort es im automatisch qualifizierten Gastgeberland Brasilien. „Wir machen das Maracanã wohl hässlich“, sucht Francicleide da Souza nach einem Grund für die Umsiedlungen. Sie musste in den letzten Monaten mit ansehen, wie ein Nachbar nach dem anderen „Metrô Mangueira“ verließ, das Armenviertel unweit des legendären Fußball-Stadions Maracanã.

„Jeder Weggang schwächt unseren Kampf fürs Hierbleiben“, räumt die Präsidentin des Anwohnervereins ein und richtet heftige Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung. „Sie haben uns gesagt, wer nicht unterschreibt, hat nachher gar keine Rechte.“ Viele stimmten der Umsiedlung zu. Gut die Hälfte der 700 Familien der kleinen Favela zog weg - in die benachbarte Siedlung Mangueira I oder das 45 Kilometer entfernte Cosmos.

Die Umsiedlungen in Rio und anderen WM-Ausrichterstädten sind auf dem Radarschirm von Menschenrechtsorganisationen. Die Klagen der Anwohner haben auch schon die Vereinten Nationen erreicht, das Internationale Olympische Komitee (IOC) informierte sich vor Ort. „Es ist viel Geld im Spiel, und das wirtschaftliche Interesse ist enorm“, sagt der Direktor des Zentrums der Volksbewegungen (CMP), Marcelo Braga. Das Maracanã werde für fast eine Milliarde Reais (403 Mio. Euro) renoviert. „Fünf Prozent der Summe würden reichen, um die Lebensqualität der Menschen in der Nachbarschaft entscheidend zu verbessern“, rechnet Braga vor.

Doch Rios Stadtverwaltung bekräftigt die Rechtmäßigkeit des Vorgehens und argumentiert, dass Umsiedlungen für öffentliche Projekte notwendig seien. „Wir verbessern die Situation der Einwohner. Keiner wird auf die Straße gesetzt, keiner bleibt ohne Unterkunft, keiner bleibt ohne eine Option“, versichert der Vize- Wohnungssekretär der Sechs-Millionen-Einwohner-Metropole, Pierre Batista, in einem Gespräch der Nachrichtenagentur dpa. „Das ist eine anständige Arbeit, über die wir mit Stolz und erhobenen Hauptes sprechen können.“

Das sehen die Menschen in Metrô Mangueira naturgemäß anders. Sie leben derzeit buchstäblich inmitten von Trümmern, keine 1000 Meter vom Maracanã-Stadion entfernt. Viele Häuser sind schon ganz oder teilweise abgerissen. Zurück bleiben hässliche Baulücken und Ruinen, die den noch etwa 300 ausharrenden Familien das Bleiben immer schwerer machen. Ratten und Ungeziefer erobern das Revier. Über Schutt- und Müllbergen liegt beißender Gestank. Nachts kommen Drogenabhängige und vor allem: Einbrecher. Die Ärmsten beklauen die Armen.

„Sechsmal schon haben sie bei mir eingebrochen und Möbel, Fenster, Stromkabel mitgehen lassen. Hier gibt es weder Sicherheit noch Zukunft“, sagt der 36-jährige Eomar Freitas frustriert. Doch er und seine Familie wollen bleiben, solange es geht. Den Bewohnern ist nicht klar, was die Stadt mit dem Gelände vorhat. Geschäfte oder ein Freizeitpark wurden schon mal genannt. „Allein in Rio stehen vermutlich 25 000 Familien vor einer Umsiedlung“, schätzt Menschenrechtler Braga. Die Erfolgschancen von Rechtsverfahren hält er für gering. „Die Bagger schaffen einfach Fakten.“

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