Analyse: Die Linken in Polen als „Königsmacher“

Die Stichwahl entscheidet auch, ob Warschau zur alten Blockadepolitik zurückkehrt.

Düsseldorf. Europa schaut auf Warschau: Am Sonntag entscheiden die Polen in einer Stichwahl über den Nachfolger des am 10. April tödlich verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski.

Und damit auch darüber, ob die auf Ausgleich mit Europa und Russland gerichtete Politik des liberalen Premiers Donald Tusk fortgesetzt wird.

Vieles deutet zwar auf einen Sieg des im ersten Wahlgang mit 41,5 Prozent vorn liegenden Tusk-Kandidaten Bronislaw Komorowski hin. Doch der lag überraschend nur knapp fünf Prozent vor Jaroslaw Kaczynski, dem Zwillingsbruder von Lech.

Zwischen 2005 und 2007 hatten die Brüder Kaczynski als Premier und Präsident auf die permanente Konfrontation mit EU und Russland gesetzt und nach innen einen Kurs antikommunistischer "Säuberungen" gefahren.

Doch schon im Wahlkampf zur ersten Runde erlebte Polen einen geläuterten Kaczynski: Witterte der zuvor überall Landesverräter und wollte den letzten kommunistischen Premier Jaruzelski sogar hinrichten, startete er nun eine Charmeoffensive gegenüber der postkommunistischen Linken. Auch außenpolitisch hatte Kaczynski Kreide gefressen: Kein böses Wort zu Brüssel, freundliche Worte gegenüber Moskau.

Das Liebeswerben um die Linke hat einen Grund und einen Namen: Grzegorz Napieralski, der Kandidat der Demokratischen Linken, der Nachfolgepartei der Kommunisten.

Mit seinen knapp 14 Prozent gilt der erst 36-Jährige als "Königsmacher", um dessen Stimmen sich beide Stichwahl-Kandidaten balgen. Die Mehrzahl der überwiegend städtischen Wähler der Linken neigt eher Komorowski zu, eine Minderheit aber ist anfällig für die sozialpolitischen Forderungen Kaczynskis, der sich auf die ländlichen Verlierer des EU-Beitritts stützt.

Napieralski spielt seine Rolle als Königsmacher aus. Er verlangt von Komorowski als Gegenleistung für eine Unterstützung u. a. den Rückzug aus Afghanistan. Inzwischen hat er überraschend auf jede Wahlempfehlung verzichtet. Seine Wähler seien "klug genug, selbst zu entscheiden". Kaczynski verschärfte deshalb in den letzten Tagen sein Liebeswerben um die Postkommunisten.

Das aber ist nicht ungefährlich: Denn eigentlich hat sich Kaczynski seinen "Markenkern" als Antikommunist, Schwulenfeind und Russenhasser über viele Jahre hart erarbeitet.

Von seinem Dauerstreit mit Berlin und Brüssel gar nicht zu reden. Viele Linke halten seine Charmeoffensive deshalb für rein taktisch. Andererseits irritiert aber Kaczynskis Volte auch den starken rechtsradikalen Block in seiner Wählerschaft, den er unbedingt braucht, will er die Wahl gewinnen.

Das Rennen ist offen, mit Vorteilen allerdings für Komorowski. Käme es anders, würden in Berlin und Moskau die Alarmglocken läuten: Denn das wäre auch das Ende von Premier Tusk, es drohte der Rückfall in die alte polnische Blockadepolitik.

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