Coronavirus „Ich vermisse die Schule!“

Für Arne Ulbricht ist die Digitalisierung ein Segen, aber kein Ersatz für normalen Unterricht.

 Arne Ulbricht berichtet aus seinem Alltag als Lehrer.

Arne Ulbricht berichtet aus seinem Alltag als Lehrer.

Foto: steiner/ulrbicht/STEINER

„Hallo Herr Ulbricht, ich habe mein Passwort vergessen.“

Mit solchen E-Mails begann meine Lehrer-Corona-Zeit. Meine Hauptaufgabe bestand darin, Schülern die Zugangsdaten für den Schulserver zu nennen, die viele „vergessen“ hatten.

Aber wie ging es dann weiter? Ist es gelungen, den Bildungsbetrieb aufrechtzuerhalten? Die Antwort ist ein klares: „Jein!“ Einerseits habe ich Erstaunliches erlebt: zum Beispiel Schüler, die mir in einer Tour bearbeitete Aufgaben zuschicken, oft begleitet von fröhlichen E-Mails. Einige scheinen besser zu arbeiten, wenn die Freundin nicht in der Nähe sitzt. Zu nicht wenigen Schülern ist auf diese Weise ein vertrauensvoller Kontakt entstanden, von dem wir – die Schüler und ich – noch lange zehren werden.

Andererseits gibt es Schüler, die sich kein einziges Mal gemeldet haben. Für mich und vermutlich jede andere Lehrkraft auch ist das einfach bitter. Denn ich habe keine Ahnung, was im Einzelfall das Problem ist. Sind es die Aufgaben? Ist es der uralte Laptop des Vaters, der jedes Mal abstürzt, sobald man eine Datei hochladen möchte? Oder sind es doch familiäre Sorgen, von denen ich im Arbeitszimmer sitzend nichts mitbekomme? Natürlich habe ich dann vereinzelt Schüler angerufen. Nach einer Woche hieß es: „Ich komme nicht in meinen Account, deshalb schickt mir Noah die Aufgaben zu.“ „Wie viele hat er denn schon zugeschickt?“ „Bis jetzt noch keine.“ Na toll. (Und natürlich funktionierte der Account!)

Kann man schon ein Fazit ziehen? Ja, durchaus. Ich bin fester überzeugt denn je, dass digitales Home-Learning eine Ergänzung, aber keine Alternative darstellt. Während Schulschließungen in Krisenzeiten – das gebe ich zu – ist die fortschreitende Digitalisierung gewiss ein Segen, und ich bin dankbar für jede E-Mail, die ich schreiben darf und erhalte. Mir haben die vergangenen Wochen aber vor allem gezeigt, dass Schule als lebendiger Ort, an dem man nicht nur Französisch und Mathe lernt, sondern auch in einer Gemeinschaft zu leben, sich zu streiten und wieder zu vertragen hat, durch nichts zu ersetzen ist. Zum Glück sehen das viele Schüler in diesen Zeiten genauso. Eine meiner Sechstklässlerinnen hat es in einer E-Mail auf den Punkt gebracht: „Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber ich vermisse die Schule!“ Und das tue ich auch!

»Arne Ulbricht liest auf Lesungen gern Kindern vor. Aber momentan darf er das nicht. Seinen Youtube-Kanal, auf dem er vor allem aus Luna liest, betrachtet er als Ergänzung zu seinem Vorleseengagement, und keineswegs als Alternative.

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