Was glauben Sie denn!? Wuppertaler Pfarrer appelliert an Jung und Alt

Wuppertal · Jochen Denker, Pfarrer in Reformiert Ronsdorf und Synodalassesor im Kirchenkreis, spricht über das Geben und Nehmen verschiedener Generationen.

 Pfarrer der Reformierten Gemeinde Ronsdorf und stellvertretender Superintendent

Pfarrer der Reformierten Gemeinde Ronsdorf und stellvertretender Superintendent

Foto: Kirchenkreis Wtal

Zu Verschwörungstheorien in Sachen „Pandemie“ reicht meine Fantasie nicht. Ich probiere mich gerade in einer anderen Übung: Was wäre, wenn man all die Maßnahmen unter die Überschrift „Versuche in Barmherzigkeit“ stellen würde?

Hat es schon einmal eine solche Zeit gegeben, in der das maßgebliche Kriterium politischer Entscheidungen der Schutz besonders Schutzbedürftiger war, die Sorge um hochbetagte oder gesundheitlich gefährdete Menschen, das Bemühen, ein leider zuvor verantwortungslos kaputtgespartes und -kommerzialisiertes Gesundheitswesen aufrechtzuerhalten und nicht in den Kollaps zu treiben? Plötzlich spielt Geld keine Rolle mehr oder nur eine untergeordnete. Es wird bereitgestellt, wenn auch befragungswürdig „verteilt“. Und eine doch beeindruckende Mehrheit der Bevölkerung „zieht mit“.

Der Preis dafür ist hoch. Manche treffen die Maßnahmen unbarmherzig hart. Dabei denke ich nicht nur an die, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden und leiden werden, sondern auch an die Kinder und Jugendlichen. Spielen, Feiern, ausgelassen die Unbeschwertheit eines jungen Lebens genießen – seit Monaten wird erwartet, dass sie darauf verzichten. Und die allermeisten tun es.

Darf auch die „junge Generation“ auf so viel Barmherzigkeit hoffen? Vor der Pandemie haben wir ihr darauf nicht viel Hoffnung gemacht. Vielleicht lernen wir, dass Generationengerechtigkeit alle zum Geben auffordert. Zurzeit geben besonders die „Jungen“. Was sind die über 50-Jährigen in nächster Zukunft bereit, für sie (aufzu-)geben? Konsequenter Klimaschutz wäre ein Akt der Barmherzigkeit gegen unsere Kinder – und alles was noch lebt und einmal leben wird. Nur wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Barmherzig sein ist anspruchsvoll. Dazu muss man die Welt mit den Augen anderer sehen, sich anderer Not wirksam zu Herzen gehen lassen. Barmherzigkeit macht aus egozentrisch kurzsichtigen Menschen nachhaltig soziale Wesen.

Wenn, wie gerade jetzt, die Nerven blank liegen und die Geduld schwindet, andauernd im Ausnahmezustand leben zu müssen, ist das einzige Mittel dagegen, dass eine Gesellschaft auseinanderfliegt, dass Menschen sich heillos zerstreiten und nicht mehr zueinander finden: Barmherzigkeit. Sie ist eine heilvolle Haltung zum Leben die Fehler zulässt und notwendigen Streit nicht zu Hass mutieren lässt.

In den Evangelischen Kirchen gibt es die gute Tradition ein Jahr unter ein biblisches Motto zu stellen. Für 2021 wurde schon vor drei Jahren das Wort Jesu gewählt: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“ (Lukas 6,36). „Passt!“ Oder?

Diese Tage stieß ich im Internet auf den Poetry „Barmherzig sein“ von Petra Halfmann. (Es lohnt sich, ihn auf YouTube anzuhören!): „Sollten wir nicht eigentlich … anderen Gutes tun, selbst denen, die uns hassen und viel öfter gelassen agieren anstatt vorschnell zu explodieren? … für diejenigen beten, die uns beleidigen und anstatt uns dauernd zu verteidigen, weniger nachtragend reagieren, stattdessen nachfragend. Interessieren wir uns für die Situation der anderen Person? Sollten wir nicht eigentlich … wohlgesonnen tonnenschwere Vorwürfe verwerfen und unsere schwachen Nerven weniger aufregen, die alten Scherben auffegen, ein neues Buch auflegen, ein neues Kapitel mit dem Wundermittel Vergebung schreiben anstatt uns dauernd aufzureiben (…) Barmherzig sein! Warmherzig sein! So wie der Vater im Himmel. (…) Weil er uns immer wieder vergibt, weil wir wissen, dass er uns bedingungslos liebt, können wir in seinen Fußstapfen wandeln und andere in gleicher Weise behandeln.“

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