Was glauben Sie denn? Die Psalmen und der Psalter

Wuppertal · Ruth Tutzinger, Vorsitzende des Gemeinderates der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal, über die Hebräische Bibel.

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Foto: Fries, Stefan (fri)

Die Hebräische Bibel ist in drei Hauptteile und diese wiederum in Untergruppen geordnet.  Der dritte Teil, die Schriften („Ketuvim“) werden von den Psalmen eröffnet (das griechische „Psalmos“ bedeutet „Lied mit Instrumentalbegleitung“). Es sind dies 150 poetische Texte in 2.527 Versen, die man vier Arten von Texten zuordnen kann: Lobgesängen, Klagegesängen, Lehrgedichten und ersten Ansätzen einer Liturgie, die die Opferhandlungen begleitete  und die Predigt zur Vermittlung der Grundlehren ersetzte in einer Zeit, da es Propheten nicht mehr und geschulte Redner noch nicht gab.

Die Dichter der Psalmen sind namentlich nicht bekannt, obwohl es viele Überschriften gibt, in denen David, Salomo, Korach, Assaf, ja sogar Mosche genannt werden. Inzwischen geht man aber davon aus, dass dies Zuschreibungen sind. Gerade die Stufenlieder, die zur Liturgie des Tempels gehören, verortet man heute in die Zeit des Zweiten Tempels. Zu Davids Zeit gab es nur das tragbare Heiligtum aus der Zeit der Wüstenwanderung.  Der älteste Psalm ist vermutlich der Psalm 137, der wohl im ersten Exil entstanden ist: „An den Wassern Babylon saßen wir und weinten.“  Er ist heute Teil des jüdischen Tischgebetes am Schabbat und er besingt die nie endende Sehnsucht der Israeliten nach Jerusalem als ihrem physischen und geistigen Lebensmittelpunkt.

Die Psalmen entstanden in einem Zeitraum von etwa 800 Jahren und wurden um 200 bis 100 v.d.ZT.  von Schriftgelehrten gesammelt und in Anlehnung an die fünf Bücher der Tora auch in fünf Bücher, sehr unterschiedlichen Umfangs, geordnet. Dies ist bei den meisten Übersetzungen nicht zu erkennen.

Die Psalmen gehören zu den meist zitierten Texten aller Zeiten. Sie sind individuelle poetische Kunstwerke. Die Art der Dichtung entspricht vielfach nicht unserer westlichen Vorstellung. Ein hervorstechendes Merkmal ist der „Parallelismus membrorum“. Er verdeutlicht, dass sich die Realität eigentlich nie mit einer einzigen Aussage abbilden lässt, sondern dass es darauf ankommt, eine Sache mindestens aus zwei Perspektiven oder auch durch Hinzuziehung des Gegenteils zu betrachten.  Auch gibt es eine Fülle von Bildern, wie: „Fels des Heils“, „Meine Burg“, „Wie ein Löwe sein“ oder „In den Tiefen der Unterwelt“. Sie tragen dazu bei, dass im Kopf jedes Lesers, Beters oder Sängers, jeder Zeit und jeder Kultur, andere Vorstellungen entstehen, die Texte nachempfunden werden und jeder Situation entsprechen können.

Rabbiner Samson Raphael Hirsch, ein hervorragender Kenner der hebräischen Sprache, schreibt im Vorwort zu seiner Psalmen-Übersetzung, sie seien die am schwierigsten zu übersetzenden Texte, da manche Wortschöpfungen, die der Dichter vielleicht um der Alliteration im Text ersonnen hat, sonst in der ganzen Bibel nicht mehr vorkommen und eben jeder Mensch andere Vorstellungen dazu entwickelt.

Mir und anderen jüdischen FreundInnen ist es schon passiert, dass wir erstaunt gefragt wurden: „Ach, Sie kennen die Psalmen?“ Das liegt daran, dass das Buch der Psalmen oft aus der Hebräischen Bibel herausgelöst und entweder mit dem Neuen Testament, dem Katechismus oder auch einzeln veröffentlicht wurde. Viele sind also erstaunt zu hören, dass Psalmen die ältesten Gebete der Israeliten sind.

Nicht wenige Menschen fühlen sich bis heute von der Poesie und den Emotionen der Psalmen angesprochen.  Kantoren und Komponisten, wie Lewandowski, Sulzer oder Mendelssohn-Bartholdy haben herrliche Melodien dazu geschrieben. Sie wurden auch als „Der Psalter“ zu Kirchenliedern umgedichtet. Schon 1539 schuf Johannes Calvin die erste Ausgabe gereimter Psalmen für den Gottesdienst.

Aus all dem darf man sicher schließen, dass diese Gedichte, Gebete, Gesänge und Gespräche den Menschen zu allen Zeiten geholfen haben, ihre Freude, ihren Dank, aber auch ihre Trauer und ihre Angst ausdrücken und in größere Hände zu legen. Das nahm ihnen den Druck von der Seele und half ihnen, neue Kraft und Zuversicht zu gewinnen.  Es kann auch in dieser so unübersichtlichen Zeit gelingen, Ängste zu nehmen und Einsamkeit aufzubrechen. „Der Herr ist mein Hirte“ muss nicht nur auf Todesanzeigen stehen, im Gegenteil, diese Gewissheit ist vor allem auch ein Trost für die Lebenden.

 

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