Was glauben Sie denn? Der jüdische Friedhof

Ruth Tutzinger, Vorsitzende des Gemeinderates der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal, über die Bestattungsriten der Kulturen im Nahen Osten.

 Wuppertal

Wuppertal

Foto: Fries, Stefan (fri)

In unserer turnusmäßigen Tora-Lesung haben wir in den vergangenen Wochen gelesen, wie Sarah, die langjährige, treue Weggefährtin von Abraham, gestorben ist. Abraham trauert sehr um sie und will sie würdig bestatten. Er ist zwar ein reicher und angesehener Mann in Kanaan, hat aber keinen Grundbesitz. Trotzdem will er sicherstellen, dass Sarahs letzte Ruhe nicht gestört werden kann. Darum kauft er nach vielen Verbeugungen und harten Verhandlungen mit den Hethitern von diesen ein Feld mit einer großen Höhle, der Höhle Machpela. Dort bestattet er Sarah und rollt einen großen Stein vor die Höhle, damit weder wilde Tiere noch fremde Menschen hineingelangen können.

Seit im 19. Jahrhundert die Archäologen mit Ausgrabungen begonnen haben, konnten wir viel über die oft aufwendigen Bestattungsriten der Kulturen im Nahen Osten erfahren. Bei Abraham und auch bei seinen Nachfahren bleibt aber alles sehr schlicht. Abraham legte Sarah in die Höhle und er beweinte sie sieben Tage lang. Dieser erste Grundbesitz der späteren Israeliten wurde zum Erbbegräbnis noch für Abrahams Sohn Jizchak und seine Frau Rivka und für Lea, die erste Frau Jakobs. Dessen zweite und besonders geliebte Frau Rachel starb bei der Geburt ihres zweiten Kindes, als sie auf dem Rückweg aus dem Land des Schwiegervaters Laban waren. Jakob musste sie am Wegesrand bei Bethlehem begraben. Damit diese Stelle als Grab erkennbar blieb, errichtete Jakob einen Denkstein (1.Mose 35,20). Dieser könnte der älteste bekannte Grabstein der Geschichte sein. Jedenfalls wurde Rachels Grab nie vergessen. Jakob selbst starb in Ägypten. Weil er den Wunsch geäußert hatte, auch in der Höhle Machpela bestattet zu werden, ist er wohl der einzige Israelit, der – wegen der langen Reise – einbalsamiert wurde. Eigentlich sollen Verstorbene im Judentum möglichst nicht angetastet werden, sondern so vollständig wie möglich bestattet werden, gemäß 1.Mose 35,20: „Du bist Erde und zu Erde sollst du wieder werden.“

Heute gibt es triftige medizinische und auch juristische Gründe, die eine andere Handhabung erlauben. Übrigens errichteten die frühen Christen eine Kirche über der Höhle Machpela und die Muslime eine Moschee und die einen verwehrten den anderen den Zutritt. Seit 1967 regelt das israelische Militär den Zutritt für Juden, Christen und Muslime, aber es bleibt ein leicht entflammbares Pflaster dort.

Seit der Zeit des 2. Tempels wurde es üblich, sich unterhalb der Tempelmauer im Kidrontal und bis hinauf auf den Ölberg bestatten zu lassen. Schon unsere frühen Gelehrten vermittelten den Menschen, dass jeder bei Geburt und im Tode gleich sei und wetterten gegen aufwendige Grabmale. Es gibt davon wenige, die sich im Kidrontal erhalten haben. Allerdings geben diese interessante Auskünfte über Jerusalemer Familien, zum Beispiel über die von Nikanor aus Alexandrien, von dem im Talmud berichtet wird, er habe die Türen zum Vorhof des Tempels gestiftet.

Nach der Zerstörung Jerusalems durch die Römer verboten diese jegliche Bestattungen in Jerusalem. Archäologen legen bis heute unter den Hügeln von Beit Schearim große Bestattungshöhlen frei. Dort ruhen die Verstorbenen meistens in Sarkophagen. Auf den frühesten fanden sich lediglich kurze Namensangaben, die späteren Angaben waren schon ausführlicher. So konnte man einige Gelehrtenfamilien einander zuordnen. Auch fanden sich Stilelemente seit der Römerzeit durch viele weitere Epochen mit floralen Elementen, Wappentieren und Kultussymbolen.

Ihre Bestattungsgewohnheiten nahmen die Juden natürlich mit ins Exil. Inzwischen hatte sich der Glaube an ein wie auch immer geartetes Weiterleben nach dem Tode und die Auferstehung in den Tagen des Messias durchgesetzt und die Unantastbarkeit der Gräber war festgeschrieben. Überall, wo sich Juden niederließen, waren sie darauf bedacht, Grundstücke für ein „Beit Olam“ (ein Haus der Ewigkeit) oder ein „Beit Chaim“ (ein Haus des Lebens), wie jüdische Friedhöfe heißen, zu erwerben. Das war und ist sogar noch wichtiger als eine Synagoge zu bauen, denn das gemeinsame Gebet kann man auch in schlichten Räumen vollziehen. Oft mussten sich kleine Gemeinden für den Erwerb eines geeigneten Grundstückes zusammentun. So ergaben sich für die Betroffenen oftmals weite und beschwerliche Wege (darauf geht auch der heute nicht mehr gern gesehene Brauch zurück, dass manche Menschen am Rande des Friedhofs ein Picknick abhalten).

Trotz der vielen Verfolgungen durch die Jahrhunderte, die auch vor den Friedhöfen nicht Halt gemacht haben, gibt es noch sehr alte große Friedhöfe überall in Europa. Einer der bekanntesten ist in Prag. Man darf bis heute die Verstorbenen nicht übereinander beerdigen. Da früher nur in Tüchern beerdigt wurde, stehen die Grabsteine in Prag dicht beieinander. Einer der ältesten Friedhöfe ist in Worms. Trotz der Barbarei der vielen Friedhofschändungen ab dem Mittelalter gibt es noch erstaunlich viele erhaltene Grabmale. Sie werden seit einigen Jahrzehnten akribisch erforscht und geben viele interessante kulturhistorische Auskünfte. Das Steinheim-Institut in Essen und andere leisten da großartige Arbeit. Auch in Wuppertal gibt es Friedhöfe, die immer noch liebevoll restauriert werden. Zu Zeiten ohne Covid-19 bietet Frau Dr. Schrader, die Leiterin der Begegnungsstätte Alte Synagoge, regelmäßig Führungen an, bei denen man viel Wuppertaler Kulturgeschichte erfahren kann.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort