90 Jahre Dieser lange Marsch endet nie

Das Atelier- und Künstler-Kollektiv für intermediale Zusammenarbeit gab über 21 Jahre der freien Kunstszene der Stadt ein festes Zuhause.

 In diesem Haus, Hofaue 21a, war das Kollektiv von 1978 bis 1985 zu Hause. Das Gebäude wurde abgerissen.

In diesem Haus, Hofaue 21a, war das Kollektiv von 1978 bis 1985 zu Hause. Das Gebäude wurde abgerissen.

Foto: Peter Klassen

Heute kümmert sich der eine um die Kunst in der Stadtsparkasse, während der andere Kurator im Swane Café ist. Damals, Mitte der 70er Jahre, waren beide junge Väter, die sich im Kinderladen kennenlernten. Und freischaffende Künstler, die - angeregt durch die Merzbühne des Dadisten Kurt Schwitters und die soziale Skulptur von Joseph Beuys – mit anderen zusammen interdisziplinär künstlerisch arbeiten wollten. Was damals vor allem Performances und Interaktionen mit durchaus politischer Aussage bedeutete. Peter Klassen und Beuys-Schüler Bodo Berheide und eine Handvoll weiterer taten sich zusammen – Basis des „Atelier und Künstler-Kollektivs für intermediale Zusammenarbeit“. Sie seien die einzigen in der damals noch jungen freien Szene Wuppertals gewesen, die intermedial arbeiteten, erzählt Berheide nicht ohne Stolz .

1976 werkelten die verschiedenen Künste noch streng getrennt voneinander. Der Kunstbegriff war streng definiert, sagt Klassen. Wenn also in einer Wohnung gleichzeitig Gitarre und Saxophon gespielt wurden, die Schreibmaschine bedient und in der Pfanne  Panhas gebraten wurde, ergab das einen ungewohnten Geräuschemix und war nichts für die  etablierte Kunstszene  – aber der Beginn einer anarchischen Kreativität, die von Anfang an nicht nur Künstler einschloss. „Wir wollten das weiter tun und einen Raum dafür  finden“, erinnert Berheide die Anfänge. Kunst produzieren, egal wie, sei das Motto gewesen, so Klassen. In die Museen kam man damit  natürlich nicht hinein. Aber einmal, 1978 forderten sie das Von der Heydt-Museum direkt heraus, erinnern die beiden. Der damalige Direktor Günter Aust gab nach. Und so vereinnahmten sie dort, wo heute das Café Muluru residiert, einen Raum. Berheide: „Wir machten eine Woche lang Performances, die die Menschen in Massen anlockten.“ Als „Einwochenmodell“ ging die Aktion in die Kollektiv-Geschichte ein.

Die erste eigene Galerie war zunächst in einem Ladenlokal  an der Wiesenstraße, was zu dem Namen „Nordstadt Galerie Kollektiv“ führte.  später folgte die Hofaue, schließlich ab 1986 ein Drei-Etagenhaus an der Berliner Straße in Oberbarmen und die Umbenennung in Atelier- und Galerie-Kollektiv. Um das Gebäude herrichten und bewirtschaften zu können, wurde ein Verein gegründet, dem Klassen, Berheide, ihre Frauen und drei weitere Personen noch heute angehören. Zum 40-Jährigen 2016 stellte Klassen einen ansprechenden Katalog zusammen, der Titel „Der lange Marsch - paradoxe Intervention“ lehnt sich bewusst an Mao und die 1968er an und steht für die unangepasste Haltung des Kollektivs.

Die  Galerie erlebte ein tägliches Kommen und Gehen, viele wollten einfach die Räume nutzen (an der Hofaue gründeten sich Wuppertals Grüne). Es wurde gefeiert, ausgestellt, gelesen, Musik gemacht, diskutiert. Zu den Highlights zählen Klassen und Berheide den Streit mit Forschern über die Chaostheorie und deren Verortung in Wissenschaft oder Kunst. Oder Tony Craggs Ausstellung 1987, „als drei Tage vorher ein Lastwagen stoppte, ziemlich viele große Teile ausgeladen wurden, Tags drauf Cragg kam, sortierte und eine wunderbare Ausstellung schuf“, so Klassen. 1989 wurde der erste Bürgerbaum, eine dreiarmige Eberesche, auf der frei gewordenen Straßenbahntrasse vor der Galerie in Oberbarmen gepflanzt. Pragmatische Entscheidung und Remineszenz an Beuys zugleich. Bis zum Robert-Daum-Platz wollte  man sich vorarbeiten, kam bis zum Alten Markt. „Wir erwirtschafteten das Geld durch Ausstellungen, die Stadt pflanzte.“ 1991 wurde die Aktion „Greenpiece“ beendet.

Mit den Jahren erging es dem Verein  so wie vielen anderen: Die Arbeit wurde aufwendiger, die Improvisation  in immer festere Strukturen gepresst, von immer weniger Leuten geschultert. Klassen: „Es ist ja verständlich, dass Künstler, die auf dem Weg sind, berühmt zu werden, einen gewissen professionellen Anspruch haben, aber wir wollten   keine konventionelle Galerie betreiben.“ Mit „Abdank“, einem Bilderzyklus von Dietrich Maus, „über das Verschwinden der Ikone Lenin“ wurde 1993 die Galerie geschlossen.

Seither werden Projekte gefördert - in Brandenburg genauso wie in den USA oder Wuppertal, oft verbunden mit dem gegenseitigen Austausch der Künstler. Das  Skulpturen-Projekt auf der Hardt, 2009 von  Oberhoff-Gibiec Oswald ins Leben gerufen, wurde an Jüngere übergeben, die 2018 die achte Ausgabe veranstalteten, allerdings nicht mehr nur mit lokalen Künstlern. Die eiserne Skuptur Figura Magica Berheides wurde auf ihrer Reise um die Welt begleitet. 2016 wurde in einem Lokal gegenüber der Junior Uni Kunst aus- und hergestellt, so dass Bevölkerungsschichten erreicht wurden, die bislang mit Kunst nichts anfangen konnten.

Die freie Szene Kunst
kämpft immer noch

Und wie sieht es heute aus? Der freien Szene gehe es sicherlich besser als damals, aber sie lasse sich immer noch zu oft vertrösten, so dass die Realität ihre Ideen überhole, ist Klassen skeptisch. Berheide lebt  die Verbindung von Musik, Ausstellungen, (politischer) Diskussion in seinem eigenen Kunstwerk, dem Swane Café, fort. Und 2021, zum hundertsten Geburtstag von Beuys, gibt es sicherlich auch wieder ein Projekt des Kollektivs.

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