Kinder- und Jugendtherapie im Projekt Drachenflug: Die Kindheit neu erleben

Kinder psychisch oder suchtkranker Eltern erhalten bei „Drachenflug“ Unterstützung.

Osterath. Kinder von psychisch oder suchterkrankten Eltern leiden oft stumm. Sie fühlen sich mitschuldig, igeln sich ein, damit niemand hinter die Fassade des nach außen nicht selten intakt scheinenden Elternhauses schauen kann.

Meist findet dabei sogar ein Rollentausch statt: Die Kinder übernehmen die Aufgaben der überforderten Eltern, damit der Alltag halbwegs funktioniert. Erst wenn es zu Auffälligkeiten in der Schule kommt, platzt die Blase. „Und dann ist die Diagnose in der Regel falsch. Die Kinder werden als hyperaktiv eingestuft oder erhalten den Stempel ADS. Der eigentliche Hintergrund des Verhaltens bleibt jedoch verborgen“, erzählt Ute Torspecken-Lobo de Miranda.

Die Kinder- und Jugendtherapeutin ist Leiterin des Projekts Drachenflug, das unter dem Dach des Instituts für soziale Innovation (ISI) — einem Netzwerk-Ableger der Zukunftswerkstatt — in diese Lücke vorstößt. Hier wird versucht, in Gruppen- oder Einzelbetreuung das Schweigen zu brechen und die jungen Betroffenen aus ihrer unverschuldeten Isolation zu befreien.

„Durch die familiären Umstände überspringen diese Minderjährigen natürliche Phasen der Entwicklung und sind dann später bisweilen selbst gefährdet, depressiv oder alkoholabhängig zu werden. Wir bemühen uns, ihnen diese natürliche Kindheit in einem Schutzraum, aus dem nichts nach außen dringt, zurückzugeben“, erklärt die Willicherin.

Das geschehe zunächst im Gespräch und werde durch kreative Medien und Spielangebote aus den Bereichen Musik, Tanz, Kunst oder Poesie vertieft. „Das entspricht aber nicht einer Therapie“, betont Torspecken. Die Räume der Zukunftswerkstatt in der Alten Seilerei in Osterath dienen dabei auch als Fortbildungsstätte. Denn nur entsprechend ausgebildete Fachkräfte dürfen bei Drachenflug die diffizile Arbeit mit Kindern — vom Grundschulalter bis zur Pubertät — aus belasteten Familien durchführen.

Das passiert bisher zumeist ehrenamtlich oder wird aus einem Stiftungstopf finanziert. Doch mit der kürzlich erfolgten Anerkennung als Träger der Freien Jugendhilfe hofft Torspecken künftig auf mehr Spielraum. Mit der Stadt besteht eine Leistungsvereinbarung.

Die Kontaktaufnahme zu betroffenen Familien geschehe über Jugendamt oder Schule, manchmal auch durch Verwandte. „Das Jugendamt hat in der Regel einfach nicht die Zeit, zielgenaue Hilfen zu gewähren. Da geht es zwangsläufig primär darum, dass die Kinder zur Schule gehen, die Wohnung halbwegs sauber und der Kühlschrank voll ist“, sagt die 48-Jährige.

Durch Drachenflug sollen Jungen und Mädchen wieder lernen, Selbstbewusstsein aufzubauen und in die Lage versetzt werden, soziale Kontakte zu knüpfen. „Diese Kinder haben Angst davor, sich anderen zu öffnen — nicht zuletzt aus Loyalität zu ihren Eltern. Sie leben in Art Trutzburg, und die Zugbrücke geht sofort hoch, wenn jemand versucht, einzudringen. Diese Mauern wollen wir mit unserem Angebot einreißen“, erläutert Ute Torspecken.

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