St. Tönis: Das Ende einer Epoche

In Kürze schließt Rewe an der Benrader Straße in St. Tönis. Hier hatte die Firma Wirichs einen der ersten Supermärkte Deutschlands eröffnet.

St. Tönis. Das Wort von der Epoche, die zu Ende geht, klingt immer hochgestochen. Zudem wird es geradezu inflationär gebraucht. Manchmal trifft es zu. Zum Beispiel, wenn am 30. September der Rewe-Laden an der Benrader Straße in St. Tönis schließt. Dann ist auch optisch eine Ära vorbei.

An dieser Stelle befand sich einer der ersten Supermärkte der Republik, 1961 eröffnete die Firma Wirichs hier ihren ersten Wirichs-Diskont-Markt, lange Jahre war hier auch der Unternehmens-Sitz und das Lager. Damals noch Kind, später mit Bruder und Schwager gemeinsam Chefin, war Anne Wirichs-Doetsch (Foto). Mit ihr warf die WZ einen Blick auf über 100 Jahre Firmengeschichte.

Wie war ihr Vater auf die Idee gekommen, einen modernen Selbstbedienungsladen zu schaffen? "Schon der kleine Tante-Emma-Laden wurde ja von uns als Großhandel beliefert", sagt Anne Wirichs-Doetsch. Wolfgang Wirichs hatte die Idee, direkt an den Verbraucher heranzugehen. Mit Ehefrau Ruth setzte er das um. Es entstand die Idee vom Supermarkt. Einfache Regale, die Kunden gingen mit dem Körbchen zur SB-Kasse. "Die Leute waren begeistert", erinnert sich Wirichs-Doetsch.

Das reichte vom Riesen-Ansturm bei der Eröffnung bis hin zur jahrzehntelangen Treue der St.Töniser zum Laden. Schnell war die Idee des SB-Supermarkts geboren - und umgesetzt. "Wenn in Hüls das Porree ausging, fuhr der Vater schnell hin", sagt die spätere Chefin. Unterstützt wurde die Firma noch lange von Opa Richard, der außerdem bis ins hohe Alter einen kleinen technischen Handel betrieb.

Für die Kinder Anne, Peter und Sabine bedeutete das Geschäft vor allem eines: Schon in jungen Jahren mussten sie mit anpacken. "Wenn Frost angesagt war und im Pferdestall Sprudel gelagert war, war ein Familieneinsatz gefragt, um diesen in Sicherheit zu bringen", sagt Anne Wirichs-Doetsch. Zu Hochzeiten verfügte die Firma über elf Filialen. Der Erfolg von Wirichs sei nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der Vater ein Visionär gewesen sei.

Deshalb ließ der Erfolg Wolfgang Wirichs nicht ruhen. Er fragte sich: "Warum kann ich nicht Nägel wie Butter und Schrauben wie Brot verkaufen?" Hierfür gab’s bereits Vorbilder, nämlich in den USA. Die Familie machte sich unter anderem dort schlau, setzte die Idee 1975 in die Tat um. In Viersen wurde der erste Baumarkt eröffnet, auch er einer der ersten seiner Art in ganz Deutschland. Um’s neudeutsch auszudrücken: Die Idee ging ab wie "Schmitz-Katze". Bis zu fünf Märkte eröffnete die Firma jährlich. Hinzu kam der Boom, den die deutsche Einheit ausgelöst hatte. Am Ende waren es über 60 Baumärkte mit einem Jahresumsatz von einer Milliarde Mark.

Im Lebensmittelbereich hatte unterdessen ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb eingesetzt. Die Verkaufsflächen mussten immer größer werden, kleinere Ketten wurden aufgekauft. "Es bestanden ja schon gute Verbindungen zu Extra", erinnert sich Anne Wirichs-Doetsch. 1994 trennte sich die Familie von den Lebensmittel-Märkten. Als sich für den Bereich der Baumärkte eine ähnliche Entwicklung abzeichnete, dachte Wirichs über eine Kooperation mit Praktiker nach. Daraus wurde ein kompletter Verkauf.

Was bleibt, ist die Wolfgang-Wirichs-Stiftung. "Meinem Vater war es wichtig, den Nachwuchs im Handel zu fördern. Dies setzen wir heute fort, indem wir Innovationen aus Wissenschaft und Praxis fördern", sagt Wirichs-Doetsch. Sie selbst war zunächst im Vorstand, heute gehört sie - wie ihre Schwester Sabine - zum Kuratorium.

Wie es an der Benrader Straße weitergeht, ist noch nicht klar. Da prüfe man alle Optionen, sagt Wirichs-Doetsch. Wie sie überhaupt betont, dass sie die Situation als neuen Anfang begreift und weniger als Ende einer Epoche.

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