Historische Stadtansichten Impressionen vom alten Viersen

Viersen. · Eine Ausstellung des Heimatvereins lädt zu einer Zeitreise in die Vergangenheit ein. Ab Sonntag sind Fotos und Reklame aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts zu sehen.

Der 17. September 1929 war kein gewöhnlicher Dienstag in Viersen. Die Glockenseile in den Kirchtürmen waren gestrafft, auf dem Bismarckturm hatte sich eine Vielzahl von Menschen versammelt, um eine besonders gute Aussicht zu haben. Und dann schwebte es über die Köpfe hinweg, Schüler liefen ihm staunend durch die Hauptstraße hinterher – dem Zeppelin. Eigentlich auf dem Weg von Hamburg nach Berlin, drehte er eine Ehrenrunde über Viersen. Angeblich, so die Legende, auf Wunsch eines zahlungskräftigen Kommerzienrates namens Josef Kaiser, Gründer der Kaiser’s-Kaffee-Geschäfte. Es war die Hochzeit der Zeppelin-Luftfahrt.

Das Foto des über der Hauptstraße thronenden Starrluftschiffs ist Teil einer beeindruckenden Ausstellung des Vereins für Heimatpflege Viersen, die am Sonntag, 20. Januar, in der Villa Marx eröffnet wird. „Stadtgeschichte in Bildern“ heißt sie, und es ist die wohl umfänglichste Sammlung historischer Aufnahmen des öffentlichen Lebens in Viersen, die je gezeigt wurde. Sie nimmt den Besucher mit auf eine Zeitreise, erklärt, wie sich das Leben der Menschen in der Stadt änderte.

Wer den Ausstellungsraum an der Gerberstraße kennt, weiß, dass er ein ähnliches Mysterium wie eine Damen-Handtasche ist: nicht besonders groß, trotzdem steckt ein Universum darin. Mehr als 200 Bilder sind in der Ausstellung zu sehen, von früheren Straßenszenen bis zu Ansichten mit Menschen, die zusammenkommen zu Kirmes, Konzerten, Marktgeschehen oder Schützenfesten. Es gibt 36 Aufnahmen, bei denen das Einst und das Jetzt gegenübergestellt wird, 34 Fotos zeigen die zahlreichen Gasthäuser als soziale Zentren. Wie ein Straßencafé ist der Ausstellungsraum eingerichtet, eine Litfaßsäule ist mit historischer Reklame Viersener Gastwirtschaften und Geschäfte beklebt, und auch der Zeppelin hat es in die Villa geschafft, als Siebdruck auf einer Fahne hängt er dicht unter der Decke.

Dabei handelt es sich bei dem Foto mit dem Zeppelin vermutlich um ein retouchiertes Bild, berichtet Ausstellungskuratorin Britta Spies: „Der Zeppelin ist auf dem Foto größer, als er eigentlich sein dürfte.“ Es sei früher durchaus üblich gewesen, Bilder zu manipulieren. „Gruppenbilder eines Chores sind oft aus Einzelaufnahmen zusammengesetzt“, sagt Spies.

Die Bilder erzählen den Wandel der Siedlungen hin zur Stadt

Sie hat Ende November begonnen, die Ausstellung zusammenzustellen, konnte aber auf gute Vorarbeit des Arbeitskreises Stadtfotos im Heimatverein zurückgreifen. Drei dicke Bildbände hat er bereits produziert, „das vierte ist zurzeit in Arbeit“, berichtet Albert Pauly, Vorsitzender des Heimatvereins.

Viele der Fotos werden in einer digitalen Diaschau auf einem Großbildfernseher präsentiert, mit kurzen Erläuterungen zu jedem Motiv – und mit akustischer Untermalung. Sie erzählen anschaulich den Wandel der Siedlungen – um 1900 hatte Viersen gerade mal rund 12 000 Einwohner – hin zur Stadt. „Auf den frühen Bildern laufen Menschen zu Fuß oder fahren Rad, später sind Kutschen im Straßenbild zu sehen, dann die Straßenbahn, wieder später nur noch Autos“, erzählt die Kuratorin.

Der Stolz auf die modernen Zeiten ist auch den Gründerzeit-Briefköpfen Viersener Unternehmen anzusehen, die in einer eigenen Vitrine ausgestellt sind. Es sind die Gegenstände in den Vitrinen, die das Tüpfelchen auf dem „i“ der Ausstellung bilden: Wie gerne würde man kosten von dem per Plakat der „Viersener Aktien-Brauerei“ beworbenem, heilsamen Gebräu: „In Flaschenbier machen wir unsere verehrte Kundschaft noch besonders auf unser vielfach ärztlicherseits empfohlenes, in vielen Krankenhäusern und Anstalten eingeführtes Sanitäts-Kraftbier aufmerksam“, heißt es da.

Einige Viersener Besonderheiten sind zu sehen

Die Ausstellungsmacher haben zahlreiche Viersener Besonderheiten aufgetrieben, die von vergangenen Zeiten erzählen. Beatrix Wolters, Mitglied des Arbeitskreises Stadtansichten, hat aus dem Kolonialwarenladen ihres Urgroßvaters Ludwig Boeckstegers die Türglocke und eine Waage mitgebracht. Und ein merkwürdiges Gerät, das früher in dem Geschäft am Eingang stand: „Das ist ein Zigarrenanzünder“, erklärt sie. Es gibt drei Pflastersteine der Großen Bruchstraße zu sehen – noch aus der Zeit, bevor sie asphaltiert wurde. Ein Schild mit den Gottesdiensten in St. Remigius – allein sonntagvormittags fünf!

Nah am Fenster in der Villa Marx steht die von Architekt Egon Eiermann ersonnene charakteristische Kachel des Horten-Hauses, das 1965 in Viersen seine Tore schloss. Es gibt Kacheln aus dem Jugendstilbad zu sehen und das Original der „Eisernen Hand“ – an der bekannten Gaststätte an der gleichnamigen Straße hängt nur eine Kopie. Frank Brüggen, ebenfalls Mitglied des Arbeitskreises, kennt die Legende dahinter: Wie um das Jahr 1800 in Viersen eine Kirche erbaut werden sollte, die Bewohner verschiedener Ortsteile sich gegenseitig Nacht für Nacht das Baumaterial stahlen, bis es zum Prozess kam. Der Richter verurteilte niemanden – außer der unheimlichen „eisernen Hand“, die unbemerkt in den Nächten das Baumaterial verrückte.

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