Düsseldorf Die frühen Jahre der Broilers in Hellerhof

Mit „(Sic!)“ legt die Punkrock-Band Broilers ein famoses neues Album hin. Herausgekommen sind Texte voller Herzblut.

Düsseldorf: Die frühen Jahre der Broilers in Hellerhof
Foto: Robert Eikelpoth

Düsseldorf. Bei ihren Label-Kollegen von den Toten Hosen hörte sich Heimatverbundenheit noch recht brachial an. Die Zeile „Wir haben in Düsseldorf die längst Theke der Welt“ kann in der Stadt jeder Knirps mitsingen. Und in Sachen „Hofgarten“ ging es einst nicht minder rau — und ziemlich obszön — zu. Die Broilers sind da schon aus einem etwas anderem Holz geschnitzt. Frontmann Sammy Amara, der die Texte schreibt, setzt sich stets überlegt und sehr kritisch-liebevoll mit Düsseldorf auseinander. „(Sic!)“, das famose neue Album der Broilers, das heute erscheint, geriet über eine gehörige Portion politischer Botschaften hinaus gar zu einer umfassenden Retrospektive der eigenen Kindheit und Jugend in der Stadt am Rhein.

„Ja, absurderweise sind auf der Platte viele retrospektive Themen“, gibt Amara zu. „Obwohl ich es eigentlich immer vermeide, in der Vergangenheit zu leben.“ Es verwundere ihn selbst, warum das so sei. „Vielleicht liegt es am Alter. Wir sind jetzt in der Band alle eher Ende als Mitte 30. Und das heißt: Man muss jetzt dazu stehen, dass man doch ein Erwachsener ist.“ Er versuche das zwar stets zu vermeiden. Und meist gelinge ihm das auch. „Aber wenn ich jetzt im Fitnessstudio gesiezt werde, sage ich auch nicht mehr zu meinem Gegenüber: „Duz’ mich.“ Denn das ist ja noch schlimmer, wenn so ein jung gebliebener Erwachsener mit sowas ankommt.“

Ende 2014, zum 20. Geburtstag der Band, da gingen Sammy Amara und die anderen Broilers für die Westdeutsche Zeitung und ein Musikmagazin noch einmal ein paar Stunden lang durch Hellerhof, den südlichsten Stadtteil Düsseldorfs, wo die meisten Bandmitglieder in Reihenhäusern aufwuchsen. Die gefühlte provinzielle Piefigkeit.

Klar, auch an diese Tour habe er gedacht, als er Songs wie „Die beste aller Zeiten“ oder „Gangster, Gangster“ für das neue Album schrieb, in denen er diese frühen Jahre mit einer Mischung aus Nostalgie und Abneigung betrachtet, sagt Amara. Die Schule im nahen Urdenbach, die er hasste. Die Prügeleien mit Faschos aus der Nachbarschaft. Die Treffen an den immer gleichen Holzbänken mit der „Gang“, deren Mitglieder vor allem dadurch auffielen, dass sie — neben einer Bierflasche — zu große Lederjacken trugen. Und natürlich die steten Ausflüge ins Nachtleben der großen und verführerischen Innenstadt, die den Gegenpol zum Vorort-Dasein bildeten.

„Von den Dächern der Stadt zu einem Reihenhaus in Hellerhof“, heißt es auf der neuen Platte. Und von „Du bist die Welt für mich!“ zu „Ich kann Dich nicht mehr leiden!“ Von „Ich liebe Dich!“ zu „Wir können ja Freunde bleiben.“ Heutzutage wohnt Amara in der City. Da wo das Leben ist. Und während er über die neue Platte spricht, sitzt er wiederum im Büro der Band, das sich in Flingern befindet. Nur ein paar Etagen über dem Proberaum der Broilers. Hier schlägt so ein bisschen das Herz des Rock’n’Roll.

Sammy Amara über die Toten Hosen

Weil das Büro des Hosen-Labels JKP, bei dem die Broilers seit einigen Jahren unter Vertrag stehen, nur einen kurzen Spaziergang entfernt ist. Weil Clubs wie das Stahlwerk und das Zakk nur einen Steinwurf weit weg sind. Und weil im Proberaum-Labyrinth unter dem Büro eben auch Bands wie 4 Promille, Rogers, Kopfecho oder Callejon ihren Ursprung haben. „Das da unten ist die Geburtsstätte all dieser Düsseldorfer Musik“, sagt Amara. Die meisten dieser Combos kennt er persönlich. Einige sind Freunde. Und allesamt seien sie Bands, die man mal besser auf dem Schirm haben solle. So wie auch Massendefekt, die sich derzeit anschicken, nach Hosen und Broilers die Rock-Nummer 3 aus der Stadt zu werden. „Denen gönne ich den Durchbruch sehr!“

Und so wie die Antilopen Gang, die erste Rap-Band, die bei JKP ihre Platten veröffentlicht und die neulich erst die Charts mit dem Album „Anarchie und Alltag“ stürmte. Apropos: Gibt es eigentlich einen Band-Wettbewerb beim Label? „Nein“, sagt Amara.

„Die Hosen haben ja zehn Jahre Vorsprung. Die sind überlebensgroß. Ich glaube nicht, dass es noch einmal einer Band aus Deutschland gelingen wird, so eine Größe zu erreichen wie sie.“ Und die Antilopen Gang wiederum mache ja nun etwas ganz Anderes. „Erst wenn sie einmal so erfolgreich sein sollten wie wir“, schiebt er hinterher und lächelt, „werden wir unseren Zorn auf sie regnen lassen.“ Bis dahin gelte: Erstmal das neue Album genießen.

Sammy Amara nennt „(Sic!)“ ein „zukünftiges Lieblingsalbum“. Und das würden ganz sicher auch seine Eltern bestätigen, die ihn seit wilden Jungpunkerzeiten in Hellerhof unterstützten. „Unsere Eltern sind extrem stolz und happy und unsere größten Fans.“ Sie seien aber auch die kritischsten Fans der Broilers. Amaras Vater sage beispielsweise schon mal: „Sammy, nicht immer auf jedem Foto Alkohol in der Hand!“ Und: „Sie sorgen sich, wenn ich eine klare politische Position in unseren Songs äußere.“

Schließlich gebe es ja immer wieder Idioten, von denen Gefahr ausgehe, wenn man derlei Dinge anspreche. Indes: „Meinen Eltern wissen auch, dass es jetzt wichtig ist etwas zu sagen.“ Die gesellschaftlichen und politischen Zeiten sind schließlich überall gleich. Da gibt es ausnahmsweise einmal keinen Unterschied zwischen Hellerhof und der großen, weiten Welt.

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