Meinung Die vergessene Katastrophe in Nordsyrien

Meinung · Während die Schlagzeilen hierzulande wahlweise vom Coronavirus oder dem Kandidatenrennen in der CDU bestimmt werden, vollzieht sich in Nordsyrien eine humanitäre Katastrophe.

 12.000 Mahlzeiten werden täglich an Vertriebene in Nordsyrien verteilt.

12.000 Mahlzeiten werden täglich an Vertriebene in Nordsyrien verteilt.

Foto: obs/Caritas international

Allein seit Dezember wurden fast eine Millionen Menschen wegen der Grausamkeiten des Assad-Regimes und seines russischen Verbündeten  zu Flüchtlingen im eigenen Land. Nun hat sich der Konflikt weiter zugespitzt. Die Türkei, die dort ebenfalls militärisch präsent ist, fordert Beistand von der Nato und droht damit, die Grenzen für Flüchtlinge nach Europa zu öffnen. Jetzt rächt sich, dass der Westen die geschundene Region ihrem Schicksal überlassen hat.

Dabei hätten alle gewarnt sein müssen: Als die USA Ende des vergangenen Jahres ihre Truppen aus Syrien zurückzogen, war klar, dass damit ein Sicherheitsvakuum entstehen würde. Nun vollzieht sich eine humanitäre Katastrophe, und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan besinnt sich wieder auf die Nato, die er vor den Kopf gestoßen hat. Ein Tiefpunkt war der Kauf eines russischen Abwehrsystems durch Ankara. Schon deshalb ist es richtig und wichtig, dass sich das Verteidigungsbündnis in Zurückhaltung übt. Von einem Bündnisfall kann ohnehin keine Rede sein, da die Türkei nicht auf eigenem Staatsgebiet angegriffen wurde. Doch was, wenn Erdogan eine Grenzöffnung als Druckmittel nutzt, um die Hilfe der Nato zu erzwingen? Immerhin leben in der Türkei schon fast vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Die Antwort darauf muss eine diplomatische Offensive der EU und vor allem Deutschlands sein.

Schon bei ihrem Türkei-Besuch Ende Januar hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) angesichts der dramatischen Flüchtlingslage zusätzliche Finanzhilfen für Ankara in Aussicht gestellt. Genau das wird nun notwendig werden. Um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, muss aber auch Griechenland deutlich mehr internationale Unterstützung bekommen. Die dramatischen Bilder von Flüchtlingslagern auf den griechischen Ägäis-Inseln zeigen, dass Athen schon jetzt mit der Situation überfordert ist.

Der Schlüssel für eine Deeskalation der Situation liegt allerdings in Moskau. Ohne den Beistand Russlands wäre Assad nicht überlebensfähig. Es ist gut, dass sich Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron um ein Treffen mit Erdogan und Putin bemühen. Falls der russische Präsident destruktiv bleibt, sollte der Westen die Daumenschrauben anziehen. Wegen des Konflikts in der Ostukraine hat die EU Wirtschaftssanktionen gegenüber Moskau verhängt. Diese Praxis ließe sich ausweiten. Die humanitäre Katastrophe in Nordsyrien  schreit geradezu nach wirksamen Gegenmaßnahmen.

 Ein Kommentar von Stefan Vetter.

Ein Kommentar von Stefan Vetter.

Foto: k r o h n f o t o . d e
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