Interview: Wolfgang Kaes - „Ich schreibe ohne Happy End“

Wolfgang Kaes über seinen neuen Thriller „Bitter Lemon“, die Wahrheit im Roman und das Thema Menschenhandel.

Düsseldorf. WZ: Herr Kaes, fliegen Sie beim Schreiben genauso durchs Buch wie später der Leser?

Kaes: Nein, gar nicht. Ich bin selbst ein ganz langsamer Leser, und ich bin auch ein langsamer Schreiber. Ich brauche zwei Jahre, bis das Manuskript steht.

WZ: Wie gehen Sie beim Schreiben vor?

Kaes: Mindestens ein halbes Jahr geht schon für die Vorrecherche drauf. Ich bin da ganz akribisch, vielleicht liegt’s am Sternzeichen Steinbock, da gibt’s dann Aktenordner und Klarsichtfolien und Dokumente und Stadtpläne, anders kann ich das gar nicht.

WZ: "Eine Fabel ist eine Brücke, die zu den Ufern der Wahrheit führt" - diese arabische Inschrift findet man auf Ihrer Internetseite. Ist das ein Sinnbild für Ihre Arbeit?

Kaes: Ich habe das mal zufällig in Granada entdeckt und fand es ganz passend für meine Arbeit. Es gibt am Anfang immer ein Thema, von dem ich denke, das wäre es wert, mal nicht in 100 Zeitungszeilen, sondern in 300, 400, 500 Buchseiten gepackt zu werden, um es auch emotional begreifbar zu machen. Anschließend entwickle ich eine fiktive Geschichte, die das Thema exemplarisch transportiert.

WZ: Wie viel Wahrheit steckt im neuen Buch "Bitter Lemon"?

Kaes: Sehr viel Wahrheit. Das Thema Menschenhandel hat sich aufgedrängt, weil es ein vergessenes Thema, ein verdrängtes Thema ist. Irgendwann sprang mich dieser Satz an: "Es gab in der gesamten Menschheitsgeschichte noch nie so viele Sklaven wie heute, im Zeitalter der Globalisierung." Da hilft die Resolution der Vereinten Nationen von 1948, die die Sklaverei ächtet, nur wenig, weil sich so viel Geld mit Sklaven verdienen lässt.

WZ: Glauben Sie, durch den fiktionalen Rahmen bleibt das Thema bei den Menschen besser hängen?

Kaes: Das ist meine Hoffnung. Wenn es gelingt, dem Leser das Gefühl zu geben, dass er nach der Lektüre ein Stück dieser Welt besser verstanden hat, dann ist das ein Erfolg. Mit einem Sachbuch erreichen Sie nur die ohnehin am Thema Interessierten.

WZ: Sind Sie mehr Journalist oder mehr Schriftsteller?

Kaes: Ich glaube, das kann ich gar nicht so trennen. Auch nach dem fünften Buch betrachte ich mich noch als Journalist, der gelegentlich ein anderes Medium benutzt.

WZ: Wie schaffen Sie das überhaupt, "nebenbei" fünf Romane zu schreiben?

Kaes: Es gibt Leute, die schaffen es, sich neben ihrem Job auf einen Marathon vorzubereiten, es gibt Leute, die Angeln gehen, das kostet ebenfalls Zeit, und wer kleine Kinder hat, weiß ebenfalls, wo die Freizeit bleibt. Meine Kinder sind erwachsen, und ein anderes Hobby neben dem Schreiben habe ich nicht. Deshalb kriege ich auch die Krise, wenn jemand sagt: "Ach, ich wollte auch immer schon ein Buch schreiben, aber mir fehlt die Zeit." Man muss sich natürlich disziplinieren. Ich sitze zum Beispiel jeden Samstagmorgen um halb acht vor der Maschine - auch wenn’s dann mal eine Stunde oder drei Tassen Kaffee dauert, bis ich überhaupt loslegen kann. Und im Urlaub ist das Notebook immer dabei, ich schreibe am Tag etwa vier Stunden.

WZ: Sie wollten ursprünglich zur Polizei gehen - trägt David Manthey, der ehemalige Polizist in "Bitter Lemon", autobiografische Züge?

Kaes: Jeder Roman ist autobiografisch, weil er immer die Summe der Lebenserfahrungen des Autors spiegelt. Ein Autor, der nicht in der Eifel aufgewachsen ist, sondern in Berlin, schreibt andere Bücher. Und in meinem Fall war eben der Onkel Kripo-Chef und der Cousin verdeckter Ermittler beim LKA.

WZ: Ein Freund von Happy Ends sind Sie aber nicht?

Kaes: Im Kino schon. Ich heule da sogar oft und schnell. Selbst bei "Ein Schweinchen namens Babe" hab’ ich am Schluss geheult. Aber bei meinen Themen ist für mich oft kein Happy End in Sicht, das käme mir verlogen vor. Auch keine glückselige, private Geschichte, über die man dann die Tragödie Menschenhandel vergessen könnte.

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