John Irving im Interview: „Was ich schreibe, ist gut.“

Düsseldorf. Der US-Autor John Irving über seinen Roman „Last Night in Twisted River“, über Albträume, Unfälle und das Leben an sich.

Irving: Ja, das Leben ist so. Und nur oberflächlich gesehen ist es bizarr oder übertrieben, eine Frau für einen Bären zu halten. Denken Sie daran, warum es passiert: Einem einsamen und beeindruckbaren Jungen wurde erzählt, dass eines Nachts ein Bär in das Haus einbrach. Sein Vater schlug diesen mit der Bratpfanne in die Flucht. Aber es gab nie einen Bären. Es war nur eine Geschichte, und der kleine Danny mochte sie. Wenn sie dem Jungen die Wahrheit erzählt hätten, wenn der Vater gesagt hätte, das ist Jane, und ich schlafe mit ihr, dann wäre nichts passiert: keine Geschichte. Die Art, wie ich eine Story konstruiere, ist immer eine Serie von "was wäre wenn".

Irving: Die meisten meiner Romane handeln von dem, was ich fürchte. Wenn Sie morgens um vier Uhr aufstehen, denken Sie an Dinge in Ihrem Unterbewussten. Ihre Alpträume. Ich habe drei Söhne und vier Enkelkinder. Die Situation, dass jemand hinter einem her ist und das eigene Kind töten wird, wenn er einen findet, ist so ein Alptraum. Dann fragt man sich, was würde ich tun, um mein Kind zu schützen - damit beginnt die Geschichte.

Irving: Wenn ich meine Leser nicht kennen würde, dann würde ich sagen: Ja. Aber die meisten sind jung. Bei meinen Lesungen ist etwa die Hälfte unter 25 Jahren. Allerdings: Menschen, die meine Romane nicht verstehen, haben entweder keine Kinder oder, was viel schlimmer ist, sie wollen sich nicht daran erinnern, wie es als Kind war.

Irving: Seit wann interessiert es die Menschen so brennend, ob etwas fiktional oder autobiographisch ist? In den 60ern, 70ern und 80ern hat mich das niemand gefragt. In meinen Geschichten gibt es viele Unfälle. Aber meine Romane selbst sind keine Unfälle. Alles ist geplant.

Irving: Also: Dies ist mein drittes Buch über einen Schriftsteller. Es ist das erste Buch, in dem ich ihm nicht nur meine Biographie gegeben habe - er ist genau zur selben Zeit geboren wie ich, besuchte dieselben Schulen und hatte sogar dieselben Lehrer - diesmal ist auch unser Schreibprozess gleich. Er schreibt seine Bücher wie ich - beginnt mit dem letzten Satz und arbeitet sich bis zum ersten Satz vor. Andererseits ist Danny der Charakter in allen meinen Romanen, der mir am wenigsten gleicht. Ich bin glücklich, habe kein Kind verloren, es geht mir gut. Er hat das schlimmste Leben, das ich mir vorstellen kann.

Irving: Bevor meine Romane veröffentlicht werden, lesen mehr Menschen die Geschichte, als Sie meinen. Meine Kinder, meine Frau, ein halbes Dutzend Freunde, zwei Ärzte und dieses Mal noch sechs Köche, vier Menschen aus dem Holzfällergeschäft und ein Waffenexperte. Erst dann kommt meine Lektorin. Ich überarbeite das, was ich geschrieben habe, viele Male. Ich lege großen Wert auf Sprache. Vielleicht schreibe ich mal einen Roman über etwas, das die Menschen nicht mögen, aber was ich schreibe, ist gut gemacht. Ich werde keinen schlechten Satz schreiben.

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