F95-Blindenreporter So arbeiten Fortunas Blindenreporter

Düsseldorf · Fortuna-Anhänger zu sein, ohne ein einziges Fußballspiel sehen zu können – ein Widerspruch? Nicht für Stefan Felix. Er ist Initiator und Chef eines kleinen und hochmotivierten Teams von Berichterstattern für sehbehinderte Fans.

 Vier vom Blindenreporter-Team Fortunas (v.l.): Uwe Mies, Robin Kleinschnitz, Stefan Felix und Frank Breuers.

Vier vom Blindenreporter-Team Fortunas (v.l.): Uwe Mies, Robin Kleinschnitz, Stefan Felix und Frank Breuers.

Foto: Frederic Scheidemann

Stefan Felix ist seit seinem sechsten Lebensjahr Fortuna-Fan. Heute, mit jetzt 49 Jahren, ist er es immer noch, geht wie damals nach Möglichkeit zu jedem Heimspiel ins Stadion. Eine völlig lineare Lebensgeschichte also, wie bei vielen anderen Anhängern auch? Nicht ganz. Felix ist nach einer Erkrankung seit zwei Jahrzehnten blind. Dass er aus diesem Grund jedoch seine Stadionbesuche einstellen müsste, ist ihm nicht eine Sekunde lang in den Sinn gekommen.

„Ich muss allerdings zugeben, dass mich anfangs einiges gestört hat“, erzählt er. „Ich habe zwar die Atmosphäre im Stadion genossen, und meine Frau hat mir immer berichtet, was gerade passierte. Aber in vielen Situationen kam dann von ihr nur noch ein ,Pfui!‘ oder andere emotionale Reaktionen und ich wusste gar nicht, was sie da so aufregte.“ Irgendwann dachte Felix sich: Da muss doch etwas Besseres möglich sein. Den Startschuss dazu gab es dann, als Fortuna im Frühjahr 2010 nach Behinderten-Fanbeauftragten suchte und auf Felix kam.

Dieser und das Team der ersten Stunde – von dem Frank Breuers und Uwe Mies heute noch dabei sind – organisierten sich Schulungen durch die erfahrenen Reporter Holger Pfandt und Manfred Breuckmann, besorgten sich Leihmikrofone und -empfangsgeräte, und bereits zum Wintercup im Januar 2011 ging die erste Blindenreportage in der Arena für acht Nutzer on air.

Gut ein Jahrzehnt später hat sich das Equipment auf 20 Geräte erweitert, die der Fortuna selbst gehören. Und Stefan Felix ist seit 2015 nicht mehr ehrenamtlicher Behinderten-Fanbeauftragter, sondern hauptamtlicher Angestellter des Vereins, verantwortlich für Inklusion. Dabei kümmert er sich um alle möglichen Belange von behinderten Fans und Mitgliedern, besucht zudem Schulen und Kindergärten und informiert dort über die Besonderheiten sowie das ganz Normale daran, als Blinder Fortuna-Fan zu sein.

Fan – und zugleich der Chef des Blindenreporter-Teams, zu dem neben Breuers und Mies auch noch Philipp Dienberg, Robin Kleinschnitz und Fabian Wienhusen gehören. Zu Beginn saßen die Reporter gemeinsam mit den Nutzern ihrer Reportagen im Block eins der Arena. Später mussten sie jedoch auf die Medientribüne im Block 106 umziehen: Die Technik machte es nötig, da die Blindenreportagen inzwischen über die F95-App auch als Audiostream in die Welt geschickt und überall gehört werden kann.

Am Inhalt der Spielreportagen hat sich indes nichts geändert. „Unsere Motivation, unsere Zielgruppe sind Sehbehinderte und Blinde“, betont Uwe Mies. „Das bedeutet, wir hören uns anders an als Reporter im Radio. Das kann beim Hören für einige anstrengend sein, aber darauf nehmen wir keine Rücksicht.“ Frank Breuers ergänzt: „Der Gedanke hinter allem ist, dass der Nutzer oder die Nutzerin die Atmosphäre im Stadion mag und braucht. Wir versuchen, dazu alles zu erklären, was passiert. Auf dem Platz, aber auch drumherum. Wenn die Fans ihre Oberkörper freimachen, wenn Pyros gezündet werden.“ Wichtig sind eben genau diese Beschreibungen, keine meinungsgefärbten Kommentare. „Einige andere Klubs, deren Blindenreportagen ich als Gästefan höre, ziehen ihr Programm wie im Radio auf“, erklärt Felix. „Da sind dann zum Beispiel Interviews mit irgendwelchen Menschen zu hören statt zu beschreiben, was gerade im Spiel passiert. Das bringt uns Blinden überhaupt nichts.“ Was das kleine Team leistet, kommt bestens an. Es hat 2015 den Ehrenamtspreis der Stadt Düsseldorf erhalten, zudem den Martinstaler. Die Qualität hat sich so weit herumgesprochen, dass die Fortunen auch Reportagen beim Rosenmontagszug, Handball, Tischtennis, Eishockey, Feldhockey und Basketball ermöglichen.

Das technische Rüstzeug dafür ist übersichtlich. „Ein Empfangsgerät von der Größe eines Walkmans, für das die Nutzer eigene Kopfhörer mitbringen, zur Not aber auch bei uns ausleihen können“, erklärt Kleinschnitz. „Zu bedienen ist es allein über einen Lautstärkeknopf, die Frequenz ist fest eingestellt.“ Und inhaltlich? „Wir sind alle Fortuna-Fans und sollen durchaus Emotionen mit hineinbringen“, sagt Mies. „Da aber zwei Geräte für Gästefans ausgegeben werden, versuchen wir stets, respektvoll mit den Gegnern umzugehen.“ Kleinschnitz ergänzt: „Aber Fortuna-Treffer kommentieren wir schon etwas enthusiastischer als Gegentore.“

Toleranz aller Beteiligten ist immer gefragt. So, wie sehende Zuhörer beim Audiostream mit den sehr ausführlichen Beschreibungen leben müssen, so müssen geburtsblinde Nutzer etwas anderes hinnehmen, an das nicht jeder sofort denkt. „Wir erwähnen ganz selbstverständlich auch Farben“, berichtet Breuers. „Bei Trikots, Fahnen, Pyros, was auch immer. Wer einmal sehen konnte wie etwa Stefan, kann damit ohnehin etwas anfangen. Aber wir haben auch gelernt, dass Geburtsblinden Farben ebenfalls einordnen können, sie gehören einfach zum Alltag.“

Alle Beteiligten verstehen das Leben des jeweils anderen immer besser. Zum Beispiel, warum auch Geburtsblinde als Fußballfans im Stadion sind, obwohl sie nie ein Fußballspiel sehen konnten. All das gelingt auch auf Inklusionsfahrten, die Felix und sein Team immer wieder anbieten. „Viele waren schon lange Fans, aber doch nie richtig dabei“, erklärt Felix. „Wir geben jedem das Gefühl, Teil dieses Vereins zu sein.“ Breuers ergänzt: „Wir haben das große Wort Inklusion mit Leben gefüllt.“ Und die ganze – vollständig ehrenamtliche – Arbeit dafür, so versichern alle, nicht eine Sekunde lang
bereut.

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