EHEC-Puzzleteile ergeben langsam ein Bild

Frankfurt/Main (dpa) - Vorübergehend sah es nach Entspannung aus: Sprossen waren die Ursache für die vielen EHEC-Fälle, die Zahl der Neuinfektionen ging zurück, die Warnung vor Blattsalat, Gurken und Tomaten wurde aufgehoben.

Die Verbraucher atmeten auf - inzwischen essen 85 Prozent der Deutschen wieder Rohkost, wie eine Umfrage der „Bild am Sonntag“ am Wochenende ergab. Vor drei Wochen hatte 58 Prozent der Bundesbürger angegeben, auf rohe Gurken, ungekochte Tomaten und Salat zu verzichten.

Daher schlug am Freitagabend die Nachricht wie eine Bombe ein, dass in einem kleinen Bach im Norden Frankfurts EHEC-Keime des neuen, besonders aggressiven Stamms O104:H4 gefunden wurden. Das hessische Umweltministerium verbot zwei an den Erlenbach grenzenden Höfen, ihre Produkte - Kartoffeln und Zuckerrüben - mit Wasser aus dem Erlenbach zu bewässern oder zu waschen. Auch die Besitzer von Kleingärten entlang des Bachlaufs wurden aufgefordert, „auf den Verzehr von Produkten zu verzichten, die sie mit dem Wasser aus dem Erlenbach gewässert haben“.

Als mögliche Ursache kam schnell eine Kläranlage ins Spiel. Mit dem Abwasser kommen dort auch Fäkalien aus Toiletten an, die EHEC-Erkrankte benutzen. Und über die Kläranlage gelangen die Bakterien dann möglicherweise in den Bach. „Generell vermindern Kläranlangen die im Abwasser enthaltenen Keime, damit ist das Abwasser aber nicht hygienisch unbelastet“, erläuterte das hessische Gesundheitsministerium und betonte: „Eine Verbindung des Baches zur öffentlichen Trinkwasserversorgung besteht nicht.“

EHEC-Experten sind nicht überrascht von dieser Entdeckung: „Viele Menschen scheiden derzeit den Erreger aus“, kommentierte Prof. Helge Karch vom Universitätsklinikum Münster (UKM). Über die Fäkalien von EHEC-Patienten könne das Bakterium in die Umwelt gelangen und sich dort einnisten. Der Erreger bilde eine Schleimschicht, in der er in freier Natur auch längere Zeiträume gut überstehe, sagte Karch.

Zu einem Infektionsrisiko durch Bewässerungswasser für Gemüse könnte es allerdings nur kommen, „wenn im weiteren Verarbeitungsprozess Bedingungen geschaffen werden, die den EHEC ein Wachstum ermöglichen, so dass für eine Infektion relevante Konzentrationen auftreten“, heißt es in einer Information des Umweltbundesamtes. Das könnte etwa im Fall der mit EHEC belasteten Sprossen durchaus der Fall gewesen sein, denn sie werden bei Temperaturen gezogen, bei denen sich Keime gut vermehren.

Eine weitere Indizienkette hatte sich in der vergangenen Woche in Nordhessen geschlossen. Zum ersten Mal konnte im Raum Kassel nachgewiesen werden, dass der Erreger von Menschen auf Lebensmittel übertragen werden kann. Die Mitarbeiterin eines Partyservices hatte sich mit dem aggressiven EHEC-Keim infiziert. Sie hatte aber noch keine Symptome und war daher vermutlich nicht vorsichtig genug, als sie Speisen für eine Familienfeier zubereitete. Sie übertrug den Keim auf mehrere Lebensmittel - 20 von 65 Gästen erkrankten daran.

Seit Ausbruch der Krankheitswelle sind in Deutschland mindestens 38 Menschen daran gestorben. Nach den jüngsten Zahlen des Robert Koch-Instituts sind bundesweit mehr als 2600 EHEC-Fälle bekannt sowie rund 800 mit dem schweren Verlauf des hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS).

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