Kreuzfahrt: Kleinstädte auf hoher See

Die neue Dimension der schwimmenden Urlaubsziele setzt auf Bordleben statt Landgang.

Es ist schon der sechste Tag auf dem Schiff, und noch immer sind nicht alle Aktivitäten ausprobiert: Geht es heute zum Golfspielen oder in den Formel-1-Simulator? Zum Einkaufen, an die Kletterwand oder auf die Eislaufbahn? Eine solche Qual der Wahl erleben Reisende auf hoher See immer öfter.

Denn die Kreuzfahrtbranche stellt einen Megaliner nach dem anderen in Dienst, und mit den Abmessungen der "Spaß-Schiffe" wächst auch deren Freizeitangebot. Der klassische Ablauf "Tagsüber Landausflug, nachts wird der Hafen gewechselt" steht bei ihnen auf dem Prüfstand.

Am Jahresende 2009 erreichen die Kleinstädte auf hoher See mit der "Oasis of the Seas" abermals eine neue Dimension. Das 360 Meter lange Schiff der US-Reederei Royal Caribbean International (RCI) für 5400 Passagiere übertrifft die bisherigen Rekordhalter deutlich.

Auch die drei Schiffe der RCI-"Freedom-Klasse" sind mit 339 Metern länger als drei Fußballfelder - sie sind allerdings "nur" für maximal 4375 Urlauber ausgelegt.

Mit kaum kleineren Schiffen verstärken sich auch Reedereien aus Europa: So bekommt Costa Crociere mit der "Costa Pacifica" ein drittes Schiff für 3780 Passagiere. MSC erhöht mit der "MSC Splendida" die Zahl der Schiffe für 3959 Gäste auf zwei.

Bei diesen Größenordnungen wird das Schiff selbst zur Destination. "Das ist unsere Philosophie", sagt Falk-Hartwig Rost, MSC-Deutschland-Chef in München. Gerade in der Sommersaison gebe es zunehmend Gäste, die während der Reisen nicht so oft von Bord gehen. "Der Gast muss nicht das Bedürfnis haben, von Bord zu gehen", sagt auch Tom Fecke, Deutschland-Direktor bei RCI.

Ein Schiff der neuen Rekord-Größenordnung spreche damit eine neue Zielgruppe an: Es sind Menschen, die Alternativen zum Resort-, Sport- und Aktiv-Urlaub suchen. Denen will RCI auf der "Oasis" sieben "Lifestyle-Areale" bieten, darunter einen "Central Park" mit Bäumen und am Heck ein "Aqua Theater" mit einem großen Pool, der abends zur Showbühne wird.

Die Karibik-Ziele, die RCI mit der "Oasis of the Seas" ansteuert, sind im kommenden Winter zunächst Charlotte Amalie auf der Insel St.Thomas, Philipsburg auf St.Maarten und Nassau auf den Bahamas - nur drei Stopps bei sieben Übernachtungen. Es bleibt also Zeit genug, das Schiff und seine Einrichtungen an Seetagen zu erkunden.

Im Mai 2010 kommen Falmouth auf Jamaika und Cozumel in Mexiko sowie ein RCI-Privatstrand in Haiti als Ziele hinzu. Zum Teil müssen für das Riesenschiff Hafenzufahrten ausgehoben und Piers verbreitert werden. Die zunehmende Schiffsgröße bringt also auch Probleme: "Die Zahl der Reiseziele, die angesteuert werden können, wird kleiner", sagt Helge Grammerstorf, Chef des Kreuzfahrt-Beratungsunternehmens SeaConsult in Hamburg.

Die Reedereien betonen die große Vielfalt an Bord auch deshalb so gern, "weil es logistisch ein Problem ist, so viele Gäste an Land und wieder aufs Schiff zu bringen".

Auf griechischen Kykladen-Inseln könnte es dann eng werden. "Wenn in kroatischen Häfen so ein Schiff auf Reede liegt und die Passagiere zurück wollen, stehen die Menschen in Viererreihen in der Schlange, die sich quer durch den Hafen in die Altstadt zieht."

Solche Probleme kennen auch die Reedereien. Beispiel Dubrovnik: "Natürlich kann man im Industriehafen an die Kaimauer gehen. Aber wenn man mit dem Schiff vor der Altstadt liegen will, muss man Tenderboote einsetzen", sagt Ulrich Göz, Verkaufsleiter von Costa Deutschland in Neu-Isenburg.

Für größere Schiffe seien manche Städte deshalb nicht so gute Anlaufhäfen, so Mahon auf Menorca, Monte Carlo und Villefranche in Südfrankreich. Mittelmeer-"Rennstrecken" mit Stopps in Palermo, Marseille, Tunis, Malta, Palma de Mallorca, Barcelona und Piräus seien alle kein Problem, sagt Göz.

Für die immer größeren Schiffe werden außerdem Start- und Zielhäfen mit einer sehr guten Anbindung an die Flug- und Bahnnetze gebraucht. Die Folge sind Routenpläne, die sich immer ähnlicher werden. Kleinere Schiffe hätten den Vorteil, dass sie auch kleinere Häfen ansteuern können.

Umso wichtiger ist es, dass sich die Kunden im Reisebüro intensiv beraten lassen und ihre Urlaubswünsche bestimmen. Wer heute Kreuzfahrten macht, weil er fremde Länder kennenlernen will, ist oft auf großen Schiffen eher nicht richtig.

Wer aber eine Kreuzfahrt macht, weil er vier oder sieben Tage Unterhaltung oder Party ohne Ende haben will, der ist auf so einem Schiff bestens aufgehoben."

Bei den Urlaubern kommt die "Oasis of the Seas" laut RCI-Manager Fecke bereits prima an: Das Schiff sei sehr, sehr gut gebucht bis weit ins nächste Jahr hinein. Und mit der "Allure of the Seas" ist ein Schwesterschiff bereits sicher.

"Wir gehen momentan von drei Schiffen dieser Größenordnung aus, müssen aber den Markt beobachten", sagt Fecke. Dass 2012 eines der Riesenschiffe im Mittelmeer fährt, sei noch nicht geplant, aber durchaus denkbar.

Dass die "Oasis" das Ende der Rekordjagd bei Kreuzfahrtschiffen markiert, glauben die Experten nicht. Die Vorbehalte zum Thema Größe "gehen immer weiter verloren", sagt Tom Fecke.

"Man tastet sich an die Akzeptanzgrenze heran", sagt Grammerstorf. Schiffe zuverlässig zu bauen, die noch größer und dennoch nautisch beherrschbar sind, sei möglich.

Wo aber bei der Abwägung aller Vor- und Nachteile die Akzeptanzgrenze der Passagiere liegt, sei schwer zu definieren. Grammerstorf legt sich allerdings fest: "Die Größe der Oasis ist es nicht."

Kommt sie irgendwann tatsächlich, die Kreuzfahrt ohne Landgang? Einfach raus auf den Atlantik, weil das Schiff Destination genug ist? Grammerstorf: "Warum fährt das Schiff überhaupt noch aus dem Hafen heraus?"

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