Nachhilfe: Die Schule nach der Schule

Das Geschäft mit schlechten Noten blüht: Bereits jeder vierte Schüler in Deutschland nimmt Zusatzunterricht. Die Angst, den Start ins Berufsleben zu verpassen, ist groß wie nie.

Düsseldorf. "Ils n’ont pas finis”, schreibt Max (15) auf sein Arbeitsblatt. "Finis mit -is, oder?” "Nein, nur mit -i”, korrigiert Nachhilfelehrerin Sabine Neubrandt den Realschüler. "Das musst Du lernen."

Seit zwei Jahren geht Max zum Studienkreis in Düsseldorf. Erst wegen Englisch, dann kam Mathe dazu und vor wenigen Wochen Französisch. "Ich bin immer weiter abgerutscht.” Den Vieren folgten die Fünfen, im Sommer ist er sitzen geblieben. Seine Eltern reagierten. "Nimm Nachhilfe”, hieß es.

Unterricht nach Schulschluss. Den benötigt laut der Shell-Jugendstudie mittlerweile jeder vierte von den knapp zehn Millionen Schülern in Deutschland - zunehmend auch Grundschüler. Mathematik, Deutsch und Englisch sind traditionell die Sorgenfächer. Eine Milliarde Euro setzt die Branche pro Jahr um.

30 Prozent der Nachhilfeschüler wenden sich inzwischen an professionelle Institute. 1990 waren es nur sechs Prozent. Rund 4000 gewerbliche Anbieter gibt es. Die beiden mit Abstand größten Institute heißen Studienkreis und Schülerhilfe. Sie beschäftigen jeweils etwa 10 000 Lehrer. "Und der Bedarf steigt ständig”, sagt Thomas Momotow vom Studienkreis.

Der Schulleiter des Kölner Gymnasiums Rodenkirchen, Erhard Tillmann, bestätigt das. Die Kinder fühlen sich unsicher, gehen in den Klassen mit 30 und mehr Schülern unter. "Da kann man sich gut in der Masse verstecken”, erzählt die Gymnasiastin Christin (17, Nachhilfe in Mathe und Englisch).

Außerdem stehen heute selbst junge Schüler unter einem enormen Leistungsdruck, beobachtet Tillmann. "Ein Elfjähriger hat mindestens einmal pro Woche bis zur siebten Stunde.”

"Meine Eltern meinten, Nachhilfe sei wichtig, damit ich einen guten Beruf bekomme”, berichtet Christin. Dabei hätten das längst nicht alle Schüler nötig. Da werde manchmal des Guten zu viel getan, kritisiert Rektor Tillmann. "Falscher Ehrgeiz oder Gluckenverhalten der Eltern”, vermutet er.

"Nachhilfe kann sich längst nicht jeder leisten”, kritisiert Udo Beckmann. Manche Eltern müssen sich für ihr Kind im härter werdenden Kampf um einen möglichst guten Schulabschluss viel abknapsen, sammeln Geld in der Verwandtschaft, holen es durch einen Zusatzjob rein.

Das bestätigt auch Carmina Buch vom Studienkreis in Düsseldorf. Nicht neu, aber weiterhin bedenklich: Die soziale Herkunft und das Portemonnaie entscheiden, wie effektiv ein Kind lernt.

"Wenn das Schulsystem das alles leisten könnte, dann gäbe es uns gar nicht”, sagt Thomas Momotow vom Studienkreis. Die Landesregierung sieht das anders. Auf eine Anfrage der Grünen hieß es: "Es liegen keine Hinweise vor, dass die Schulen die individuelle Förderung nicht als ureigene Aufgabe wahrnehmen.”

Als Dauerlösung taugt die Schule nach der Schule nicht. Mehr als anderthalb Jahre sind nach Ansicht der Nachhilfe-Experten nicht sinnvoll. Und die Kinder müssen es wollen.

Prüfsiegel Seriöse Nachhilfe-Institute werben mit einem Prüfsiegel vom TÜV oder dem RAL (Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung). Auf diese Weise lassen sich auch Schulen der Scientology-Sekte, die zunehmend Nachhilfe anbietet, ausschließen.

Zur Probe Vereinbaren Sie zunächst einen Probeunterricht, der in der Regel kostenlos angeboten wird. Verträge sollten eine Kündigungsfrist von bis zu drei Monaten haben. Lerngruppen sollten aus höchstens fünf Schülern bestehen.

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