Polen: Richtungswahl im Schatten des Unglücks

Wegen der Flugzeugkatastrophe ist das Rennen um die Präsidentschaft noch nicht entschieden.

Warschau. Komorowski kontra Kaczynski: Wer zieht demnächst in den verwaisten Präsidentenpalast in Warschau ein? Um die Nachfolge des bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Lech Kaczynski bewerben sich zehn Kandidaten. Aussichten auf Erfolg haben aber nur zwei politische Schwergewichte: sein Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski (61) und Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski (58), ein Vertrauter von Regierungschef Donald Tusk.

Fällt die Entscheidung am Sonntag für Kaczynski, ist eine Fortsetzung der Blockadepolitik zu befürchten. Dann drohe Polen eine "politische Hölle", warnte der Regierungschef. Denn der Machtkampf zwischen seiner Regierung und dem nationalkonservativen Staatsoberhaupt Lech Kaczynski, der sein Veto immer wieder einsetzte, hatte zu einem Reformstau geführt.

Mit dem streitlustigen Jaroslaw Kaczynski als Präsident würde sich die Lage weiter verschlimmern, sagt Tusk. Er setzt auf seinen Parteifreund von der Bürgerplattform (PO), Komorowski. Mit ihm an der Staatsspitze würden die proeuropäischen Liberalkonservativen um Tusk die Zügel fest in der Hand halten und ein Mandat zur Modernisierung des Landes bekommen. Bereiche wie Staatsfinanzen, Gesundheitswesen oder Rentensystem erfordern rasche Reformen.

Anfang April schien der Ausgang des Rennens um das höchste Staatsamt bereits entschieden: Komorowski (siehe Porträt auf dieser Seite) galt als klarer Favorit. Die Chancen von Amtsinhaber Lech Kaczynski auf eine Wiederwahl wurden selbst von seinen treuesten Anhängern skeptisch bewertet. Doch der starb bei einem Flugzeugabsturz in Russland. Die trauernden Menschen erwarteten von den Politikern einen anderen Wahlkampf - mit weniger Zank und mehr Mitgefühl und Solidarität.

Jaroslaw Kaczynski erkannte den neuen Zeitgeist sofort. Er sprang für den toten Bruder als Präsidentenkandidat ein, um "die Mission des tragisch Verstorbenen zu vollenden". Der ehemalige Regierungschef (2006-2007), der seit zweieinhalb Jahren glücklos als Oppositionsführer agierte, konnte von einer starken Sympathiewelle profitieren. Denn Lech Kaczynski, zu Lebzeiten ungeliebt und umstritten, wurde nach seinem Tod zum Nationalhelden.

Komorowski und seine Parteifreunde sahen sich lange gezwungen, den trauernden Jaroslaw Kaczynski zu schonen. Nach der Flugkatastrophe musste der Parlamentschef die Geschäfte des Staatsoberhauptes kommissarisch übernehmen. Die Ausübung beider Ämter kollidierte oft mit dem Wahlkampf.

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