Föderalismus und das Coronavirus Das Virus zeigt eine Schwäche unserer staatlichen Ordnung

Düsseldorf · Ein Bundesland entscheidet so, das andere so: Der Föderalismus gesteht den Bundesländern weitreichende Kompetenzen zu. Auch in Sachen Coronavirus.

 Jedem Bundesland seine Fahne – und seine Kompetenzen.

Jedem Bundesland seine Fahne – und seine Kompetenzen.

Foto: picture-alliance/ dpa/Frank Rumpenhorst

Die ganze Absurdität beim politischen Management der Coronakrise zeigt sich, wenn man zwei aktuelle Nachrichten zusammen liest: Bayern will, wie auch andere Bundesländer (darunter NRW), der Empfehlung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nachkommen und Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern untersagen. Und: Die Bayern, dieses Mal ist nicht das Bundesland, sondern der Fußballclub gemeint, werden am Samstag vor vollen Zuschauerrängen spielen – beim FC Union Berlin.

Ein Bundesland entscheidet so, das andere so. Man nennt das Föderalismus, die Verteilung von politischer Macht und Verwaltung zwischen Bund und Ländern. Der Bund kann nicht einfach „durchregieren“. Zwar kann der Bundesgesundheitsminister eine Empfehlung geben, wie er es mit Blick auf die Großveranstaltungen getan hat. Ob sie diese umsetzen, ist jedoch Sache der Länder.

Solcherart Kleinstaaterei wird angesichts des die Menschen eher verunsichernden unterschiedlichen Handelns staatlicher Stellen zunehmend in Zweifel gezogen. „Wir müssen zeitnah zu bundeseinheitlichen Regelungen kommen“, sagt der Vorstandschef der Krankenkasse DAK-Gesundheit. Das sei entscheidend dafür, dass es gelingt, die Verbreitung des Virus in Deutschland zeitlich deutlich zu strecken. Jetzt sei dringend eine bundeseinheitliche Regelung zur Absage von Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern erforderlich. „Wir brauchen Klarheit, Verlässlichkeit und eine Verbindlichkeit“, fordert Storm. Er verweist auf entsprechende Regelungen in der Schweiz und in Frankreich.

Bayerns Ministerpräsident ruft nach dem „Primat der Medizin“

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert von allen Bundesländern ein einheitliches Vorgehen. Kein Bundesland dürfe bei den Schutzmaßnahmen für sich entscheiden, unter den Empfehlungen der Experten zu bleiben. In Bayern würden die Vorgaben und Empfehlungen des Bundes vollständig umgesetzt.

Christian Lindner, dem der Föderalismus bei der Schulpolitik mit ihren unterschiedlichen Bildungsstandards schon früher ein Dorn im Auge war, erneuert diese Kritik im Zusammenhang mit der Coronakrise: „Wir werden uns die Frage stellen müssen, ob unser Föderalismus noch zeitgemäß ist“, sagte der FDP-Chef bei der Berliner Industrie- und Handelskammer. Das föderale System in Deutschland atme noch den Geist des Zweiten Weltkriegs. „Über 70 Jahre später sind wir aber ein großer Rechtsstaat und wir sollten uns die Frage nach der Handlungsfähigkeit unseres Systems stellen, sobald diese Krise überwunden ist.“

Lindner spielt auf die Nachkriegszeit an, als die Siegermächte bei ihrer Vorstellung über die politische Ordnung in Deutschland dies im Blick hatten: Eine föderale Staatsordnung mit einer Verteilung der Macht auf unterschiedliche Ebenen begrenzt eben diese Macht. Ein mit Blick auf die zentral gesteuerte Naziherrschaft nachvollziehbares Argument.

Und dem Föderalismus (vom Lateinischen: foedus = Bund, Bündnis) liegt ja auch ein anderer durchaus kluger Gedanke zugrunde: dass nämlich Entscheidungen ortsnah oft besser getroffen werden, weil lokale Aspekte oder Besonderheiten einbezogen werden können. Doch bei einer Pandemie sind regionale Kräfte schnell erschöpft. Da kann dann nationale Koordination wirksamer sein. Oder wie Bayerns Ministerpräsident Söder es formuliert: Es gelte jetzt das „Primat der Medizin“, dem müsse sich alles unterordnen.

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