Verändern, nicht verwalten

Die Zahl ist immer wieder erschreckend, sie ist beklemmend und inakzeptabel: In Wuppertal leben 50 000 Menschen von Hartz IV, von dem, was früher einmal Sozialhilfe hieß und heute in Wahrheit immer noch nicht mehr ist als das.

Dabei ist die Frage, ob Hartz IV nun Armut bedeutet oder die Abwehr von Armut, fast schon akademisch, vor allem für jene, die von Hartz IV leben. Unstrittig ist, dass die Alimentierung durch den Staat so ziemlich das Gegenteil ist von einem selbstbestimmten Leben, von der Gelegenheit, für eine Herzenssache jeden Monat ein paar Euro zurücklegen zu können, um sich dann irgendwann den kleinen Traum zu erfüllen. Hartz IV verhindert Urlaubsreisen oder auch nur den Kinobesuch. Es ist deshalb schlicht selbstverständlich, dass Bund, Länder und Kommunen Bedingungen dafür schaffen, dass möglichst wenige Menschen Hartz IV beziehen müssen.

Es gibt aber auch noch eine andere Seite dieser Medaille. In Wuppertal leben nämlich nicht nur Hartz-IV-Empfänger. Die meisten Wuppertaler sind glücklicherweise in der Lage, ihr Leben aus eigener Kraft zu finanzieren. Und dennoch oder gerade deswegen haben sie Ansprüche gegenüber der Stadt, dem Land und dem Bund. Sie haben den Anspruch darauf, dass Straßen keine tiefen Löcher haben, dass Schultoiletten funktionieren, es in Sporthallen nicht hineinregnet, dass Parks und andere öffentliche Flächen sauber, dass Behörden dienstleistungsfähig und dienstleistungswillig sind, dass es ein angemessenes Einkaufs-, Kultur- und Freizeitangebot gibt.

Aber je mehr Hartz-IV-Empfänger eine Stadt zu betreuen hat, desto schwieriger wird es für sie, die Ansprüche der Selbstfinanzierer zu erfüllen. Auch das ist ungerecht.

Es ist jedoch kein Schicksal, dem eine Stadt und eine Stadtgesellschaft sich kampflos ergeben müssen. Wuppertal allerdings macht bisher genau das.

Die hohe Zahl von Leistungsempfängern hat Tradition in dieser Stadt. Sie ist durch die Flüchtlinge zweifellos gestiegen. Aber die Symptome sind um einige Jahre älter. Sie haben mit Strukturwandel zu tun, aber auch damit, dass Städte wie Wuppertal es versäumt haben, die Weichen anders zu stellen, als das noch einfacher möglich war. Aber es ist nie zu spät.

Es ist schlicht unerträglich, dass jeder zweite Leistungsbezieher statistisch schon seit vier Jahren von der Sozialhilfe lebt. Das spricht dafür, dass der Spruch von „Fördern und Fordern“ in einigen Fällen über den Politgeschwätz-Status offenbar nicht hinausgekommen ist und lässt Steuerzahler empört fragend zurück. Es spricht aber auch dafür, dass viel zu vielen Arbeitslosen keine Angebote gemacht wurden. Es spricht dafür, dass es auch in dieser Stadt seit Jahren kein Konzept gibt.

Dabei haben sich die Chancen auf Licht am Ende des Tunnels in jüngerer Vergangenheit verbessert. Die Wirtschaft wächst und wächst, die Zahl der Arbeitslosen sinkt — vor allem außerhalb Wuppertals. Im Bund und im Land gibt es nun Heimatministerien, von denen sich vor allem das nordrhein-westfälische auf die Fahnen geschrieben hat, die Städte und Gemeinden zu stärken. Wuppertal sollte die jeweiligen Minister nun beim Wort nehmen.

Dafür allerdings reicht es nicht aus, am Bettelstab nach Berlin und Düsseldorf zu hinken. Es braucht eine Idee für diese Stadt, einen Plan und ein Ziel, etwas, das sich erklären, verstehen und finanzieren lässt. Dafür wiederum sind Fachleute in Politik und Verwaltung notwendig. Vielleicht kann sich der Stadtrat ja doch noch dazu durchringen, einen Dezernenten für Wirtschaft, Stadtentwicklung, Planung und Digitales zu installieren. Die freigewordene Stelle im Verwaltungsvorstand kann durch internes Stühlerücken natürlich auch billig besetzt werden. Aber angesichts von 50 000 Hartz-IV-Empfängern kann sich Wuppertal billig schon lange nicht mehr leisten.

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