Ein „wildes Mädchen“ auf den Spuren Else Lasker-Schülers

Ob als „Straßen-Else“ oder Hobby-Dichterin: Ingrid Stracke liebt den provokanten Auftritt – ganz wie ihr berühmtes Idol.

Wuppertal. "Früher bin ich ein ganz ängstliches Mädchen gewesen - heute bin ich wild." Wer Ingrid Johanna Stracke sieht und erlebt, glaubt ihr diese Aussage gerne: die Lippen in Knallrot, die Augen katzenhaft umrandet, in wallenden Lagen-Look gehüllt und am Kopftuch - ihrem Markenzeichen - eine bunt funkelnde Brosche befestigt, so ist die fast 72-Jährige schon optisch eine auffällige Erscheinung. Ganz so, wie es ihr literarisches Vorbild Else Lasker-Schüler war.

Wuppertals berühmteste Dichterin, nannte sich "Prinz", schmückte sich mit turbangekrönten Gewändern und war im Grunde lange vor Madonna die erste Performance-Künstlerin. In ihrem Sinne einen ersten Auftritt als Hingucker hatte Ingrid Stracke, selbst Lyrikerin, vor gut 20Jahren. "Damals bin ich das erste Mal als Straßen-Else aufgetreten", erinnert sie sich.

Damals, 1989, wurde an einem heißen Junitag das Denkmal für Else Lasker-Schüler, von Gottfried Benn zur bedeutendsten Lyrikerin Deutschlands gekürt, an der Herzogstraße enthüllt. Ingrid Stracke war dabei, hatte ihre schlanke Figur in ein Plastikkleid gehüllt - das sorgte für Furore. Zur Gründungsfeier der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft im Schauspielhaus erschien sie im Pelz und trug darunter ein schwarzes Negligé. "Das sah sehr delikat aus."

Solche Auftritte stießen nicht nur auf Gegenliebe. "Meinen Kindern war das oft peinlich", bekennt die dreifache Mutter. "Ich bin sehr extrovertiert und habe Lust, mich auch mal daneben zu benehmen." Auch die Arbeitskollegen - im zivilen Leben kam Ingrid Stracke 37-jährig zur Stadtverwaltung und arbeitete als Schulsekretärin - hatten es mit ihrer extravaganten Art nicht immer leicht. "Die mussten sich erstmal an mich gewöhnen."

Das Prinzip der Provokation gilt auch für Strackes Gedichte und Prosa. Zwar gibt es in Anthologien und zwei eigenen Gedichtbänden Romantisches wie "Sing’ mir von Deiner Nachtigall", überwiegend schreibt sie aber politisch ambitionierte Arbeiten wie "Kristallnacht", "Ehrenwort" oder "Hartz IV" - im Sinne ihres großen Idols: "Die Zivilcourage Else Lasker-Schülers habe ich immer bewundert. Sie war eine facettenreiche und schillernde Persönlichkeit und politisch denkende Frau."

Und das möchte Stracke, die leidenschaftliche Tänzerin, die früher beim Flamenco gerne überschüssige Energie abgebaut hat, unbedingt weitergeben. Also ist sie beim 1. Wuppertaler Lesefest, das vom 24. bis 29. August stattfinden wird, mit von der Partie. Einerseits leitet sie einen Haiku-Workshop im Botanischen Garten, "dem Kleinod unserer Stadt". Außerdem spielt sie "mit kleinen und großen Kindern ebenso wie mit Erwachsenen das Lieblingsspiel von Else: ‚Einwort-Sagen’".

Schriftstellerisch ist die Unruheständlerin, die auch die Dichter Ingeborg Bachmann und Paul Celan verehrt, weiterhin aktiv. Zurzeit versucht sie sich an ihrem ersten Roman. "Es ist allerdings schon schwer, von der kurzen Gedicht-Form auf über zehn Seiten zu kommen." Thema ist, wie könnte es anders sein, Else Lasker-Schüler. "Angedacht ist eine Doppelbiographie. Ich springe zwischen ihrem und meinem Leben hin und her." Also ganz so, wie es sich für ein wildes Mädchen gehört.

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