Nazizeit in Gladbach – ein Zeitzeuge erzählt

Hermann Holz sprach im Erzählcafé über seine Kindheit an der Stadtgrenze.

Mönchengladbach. Malzkaffee zum Pausenbrot, Kirchenglocken, die zum Abendessen rufen und Spiele zwischen Heustall und Kartoffelacker: Hermann Holz’ Erinnerungen an seine Kindheit klingen unbeschwert.

Verlebt hat sie der heutige Bewohner des Altenheims Helmuth-Kuhlen-Haus im kleinen Dorf Holz nahe der Mönchengladbacher Stadtgrenze. Der Ort war zur Zeit seiner Geburt 1925 "ein Straßendorf mit 600 Einwohnern", in dem es mit über 40 Kindern "nie Langeweile gab", sagt der 85-Jährige.

Holz sitzt in der Cafeteria des Altenheims und liest den zahlreichen Zuhörern aus einem Schnellhefter einen Teil seiner Autobiografie vor. Mit ordentlichen schnörkellosen Buchstaben und blauer Tinte hat der alte Herr akribisch für jedes Jahr seines Lebens einen ganzen Ordner gefüllt: "Es ist für meine Nachkommen", sagt er und erzählt von seinen vier Enkelkindern.

Zwei seiner drei Kinder sind heute ins Helmuth-Kuhlen-Haus nach Rheydt gekommen und wollen dabei sein, wenn ihr Vater über einen besonderen Abschnitt seines Lebens erzählt: In der Reihe Mönchengladbacher Erzählcafé berichtet der Zeitzeuge über Ereignisse, die sich zwischen Juden und Nichtjuden während der Nazizeit in seinem Geburtsort zugetragen haben.

Hermann Holz weiß noch, dass ein Schild "Juden nicht erwünscht" am Ortseingang von Holz stand und sie antisemitische Kinderlieder gesungen haben. Gleichzeitig erinnert er sich an "ein gutes Verhältnis zu unseren jüdischen Nachbarn in der Augustastraße".

Die Familie Abraham und Sara Rolef führte eine Pferdemetzgerei, die Enkelkinder Trude und Ruth waren Spielkameraden für ihn und seine zwei Jahre ältere Schwester. Zivilcourage einer einzelnen Holzerin verhinderte den Terror der örtlichen SA in der Reichspogromnacht, doch dem Holocaust konnten insgesamt neun Holzer Juden nicht entkommen: "Am 11. Dezember 1941 wurden sie von Düsseldorf nach Riga deportiert", so der Zeitzeuge.

Er selber musste 1939 mit 14 Jahren zur Wehrmacht: Russland, Westfront, schwere Verwundungen und französische Kriegsgefangenschaft brachten die Jahre bis 1945. "Ich habe Bäcker gelernt und nach dem Krieg in einer Maschinenfabrik und beim Finanzamt in Rheydt gearbeitet."

1950 verließ Holz seinen Geburtsort und zog nach Wanlo: "58 Jahre war ich hier glücklich verheiratet", erzählt der Witwer. Die Holzer haben ihm dennoch die Treu gehalten. Einige ehemalige Bewohner des inzwischen dem Tagebau gewichenen Ortes sind ins Erzählcafé gekommen. So auch Herbert Dederichs, der bei allem Schrecken von einem glücklichen Ereignis berichten kann: "Ruth und Trude haben das KZ überlebt und waren nach dem Krieg zu Besuch in Holz", sagt der Neuholzer.

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