Kommunalpolitik in Nettetal „Müssen noch steinerne Barrieren in den Köpfen abbauen“

Nettetal · Die SPD-Ratsfrau ist seit zehn Jahren Vorsitzende der SPD in Nettetal. Soziale Themen sind ihr immer ein besonderes Anliegen.

 Tanja Jansen kritisierte in Lobberich das Blindenleitsystem in und um die Ludbach-Passage.

Tanja Jansen kritisierte in Lobberich das Blindenleitsystem in und um die Ludbach-Passage.

Foto: Knappe, Jšrg (jkn)

(hb) Sie sind Vorsitzende des Sozialausschusses. Was steht in diesem Jahr besonders an?

Tanja Jansen: Im Fokus wird dieses Jahr die Unterbringung von Flüchtlingen stehen. Die Zahlen sind nach 2015 gesunken – nun steigen sie wieder. Wir haben mit dem Neubau am Caudebec-Ring wirklich guten Wohnraum geschaffen. Aber wir müssen hier noch mehr tun, damit unsere neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger, ob für kurze Zeit oder dauerhaft, gut leben können.

Wie würden Sie die soziale Lage von Nettetal beschreiben?

Jansen: Der Wert einer Stadt zeigt sich vor allem darin, wie mit den Armen, Benachteiligten und Ausgeschlossenen umgegangen wird. Ich lebe deshalb gerne in Nettetal und im Kreis Viersen, weil wir das verstanden haben. Es gibt für alle Lebenslagen gute Angebote – für Familien, Singles oder Senioren. Worum wir uns jetzt kümmern müssen, sind beispielsweise zusätzliche Ausbildungsplätze.

Um welche Gruppen muss man sich besonders kümmern?

Jansen: Unsere Nettetaler Tafel macht eine fantastische Arbeit – dennoch ist es schade, dass wir sie überhaupt brauchen. Das Problem kriegen wir nur als Stadt nicht gelöst, dafür brauchen wir auch die Hilfe von Land und Bund. Für mich ist Teilhabe aller Mitglieder einer Gesellschaft das A und O. Auch in Nettetal müssen wir noch einige steinerne Barrieren und die in den Köpfen mancher Menschen abbauen.

Wenn Sie auf die vergangenen zehn Jahre schauen: Was hat sich geändert?

Jansen: Wir haben eine Seniorenberatung eingeführt, viele Flüchtlinge untergebracht und integriert, das Ehrenamt gestärkt und eine Unterkunft für Obdachlose geschaffen. Vor zehn Jahren wurde der Sozialausschuss oft noch etwas belächelt, weil er sich nur um „Gedöns“ gekümmert hat. Heute haben viele verstanden, dass das soziale Miteinander unser Fundament ist. Wenn es hier hakt, dann läuft vieles andere auch nicht.

Welche Herausforderungen stellen sich durch die Corona-Pandemie?

Jansen: Am Anfang der Pandemie wurde ständig vom „social distancing“ gesprochen – das habe ich aber anders wahrgenommen. Natürlich hat man sich nicht mehr oder nur noch in viel kleineren Gruppen getroffen. Viele haben die zusätzliche Zeit durch das Wegfallen des Arbeitsweges oder die Kurzarbeit aber genutzt, um mehr Zeit mit Freunden und Bekannten oder der Familie zu verbringen – online. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass manche Menschen niemanden mehr haben. Die dürfen wir nicht alleine in ihren Wohnungen und Häusern lassen.

Wie sehen Sie insgesamt die Lage der Senioren in Nettetal?

Jansen: Kurzzeitpflege, Generationentreffs, die ZWAR-Gruppen, ein Generationen-Spielplatz, viele und gute Altenheimplätze – kaum eine Stadt in der Umgebung ist so gut aufgestellt wie wir. Jetzt müssen wir uns noch um altersgerechtes Wohnen kümmern. Hier hinken wir noch etwas hinterher und der demografische Wandel zeigt seine ersten Spuren. Die Neuorganisation der Generationentreffs in allen Stadtteilen war ein richtiger und wichtiger Schritt. Eine Aufgabe ist es aber noch, hier noch mehr Begegnungen zu schaffen.

Beobachten Sie, dass in den Stadtteilen das Nachbarschaftsgefühl und -hilfe verloren gehen?

Jansen: Im Gegenteil. Die Solidarität unter Nachbarn wird meines Erachtens sogar wieder stärker. Gerade in Neubaugebieten gibt es viele Gemeinschaften, die zwanglos und ohne Satzung einiges auf die Beine stellen. In vielen Straßen gibt es Chatgruppen. Da geht es manchmal nur um das Ausleihen des vergessenen Zuckers oder eines Ladekabels für den Laptop. Manchmal aber auch um Hilfestellungen bei der Kinderversorgung, Krankenhilfe oder so. Jeder bringt sich ein. Schauen Sie sich mal die immer mehr werdenden WhatsApp-Nachbarschafts-Watch-Schilder an.

Gibt es genügend Hilfen für junge oder alleinerziehende Mütter – oder Väter vor Ort?

Jansen: Mit dem Familienbüro und unserem eigenen Jugendamt sind wir bestens gerüstet. Die leisten da eine super Arbeit. Schon in der Schwangerschaft kann sich die werdende Mutter zu einer Vielzahl von Fragen beraten lassen. Vor allem Alleinerziehende sind auf Hilfen angewiesen – die bekommen sie. Sei es bei der Unterstützung zur Betreuung des Kindes, zu Gesundheitsfragen oder Fragen zu Unterhalt und Beistandschaft. Und wenn das Familienbüro oder Jugendamt zu förmlich ist, gibt es in Kaldenkirchen auch einen Alleinerziehenden-Treff, in dem man sich mit anderen Eltern austauschen kann.

Gibt es für junge Menschen genügend Angebote in der Stadt Nettetal?

Jansen: Nettetal hat viele Vereine, die tolle Angebote für Jugendliche schaffen. Daneben haben wir noch ein Hallenbad und ein Kino. Aber das war es dann auch schon. Ein paar Bolzplätze und zwei Skateranlagen reichen aber nicht. Wo sollen sich die Jugendlichen denn treffen? Hinzukommt das schlechte ÖPNV-Angebot in Nettetal, vor allem zu späteren Stunden. Feiern gehen, Party machen, mit Freunden treffen und den Sinn des Lebens bequatschen – das gehört zur Jugend mit dazu. Passende Angebote gibt es bei uns aber nicht. Die finden sie erst in Krefeld, Mönchengladbach, Düsseldorf oder Köln.

Was wird in der Stadt Nettetal für Geflüchtete getan?

Jansen: Das Sozialamt der Stadt erledigt souverän und zeitnah alle behördlichen Anforderungen. Außerdem gibt es noch den Verein Flüchtlingshilfe, auch hier wird viel für Flüchtlinge getan. Ob bei einem glaubensübergreifenden Frühstück in der Evangelischen Kirche in Lobberich, einem multikulturellen Sommerfest in Hinsbeck oder bei Treffen in den verschiedenen Flüchtlingsunterkünften. Egal zu welcher Frage, der Verein hilft.

Sind Menschen mit Migrationshintergrund in Nettetal denn auch integriert?

Jansen: Wer sich hier integrieren möchte, bekommt alle Möglichkeiten dazu. Und die allermeisten tun das auch. Alleine auf meiner Straße wohnen Menschen aus mindestens acht verschiedenen Nationen friedlich und fröhlich zusammen.

(hb)
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