Analyse Zwischen Geldnot und Aufgabenflut: Kempen braucht einen Nein-Sager

Kempen · In Kempen tut sich eine Finanzlücke auf. Dabei braucht die Stadt viele Millionen für Investitionen. Und dann steht auch noch die Kommunalwahl vor der Tür. Ob nun Kraft, Dellmans oder Franzes – ein Aufbruch fällt schwer. Eine Analyse.

 Die Mitarbeiter im Rathaus warten schon lange auf eine Sanierung des Hauptsitzes der Verwaltung. In Zeiten knapper Kassen dürfte es für dieses Projekt schwierig werden.

Die Mitarbeiter im Rathaus warten schon lange auf eine Sanierung des Hauptsitzes der Verwaltung. In Zeiten knapper Kassen dürfte es für dieses Projekt schwierig werden.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Jörg Geulmann war es wichtig, noch etwas zu sagen. Bevor die Fraktionsvorsitzenden am Dienstagabend ihre Haushaltsreden vortragen konnten, ergriff der Kämmerer das Wort. Geulmann verwies noch einmal auf die missliche finanzielle Situation der Stadt Kempen. „Ich würde das durchaus als dramatische Situation bezeichnen“, so Geulmann. Wie berichtet, geht der städtische Haushalt mit einem prognostizierten Minus von 9,8 Millionen Euro ins neue Jahr. In der mittelfristigen Finanzplanung werden die Rücklagen der Stadt bald aufgezehrt sein, so Geulmann.

„Ich habe den Ansatz der Gewerbesteuereinnahmen noch einmal um 500 000 Euro erhöht“, so der Dezernent. Nur so könne das Haushaltssicherungskonzept (noch) vermieden werden. Für die nächsten Haushaltsberatungen steht für Geulmann eine Frage ganz oben: „Wo können wir sparen?“ Denn wenn die Haushaltssicherung einmal gegriffen habe und Kontrollmechanismen des Kreises Viersen aktiv seien, hieße es, in zehn Jahren 100 Millionen Euro einzusparen, so der Kämmerer.

Nun kann man den Argumenten von Geulmann entgegenhalten, dass die Kempener Jahresabschlüsse meist besser waren als die Prognosen. Häufig gab es sogar ein dickes Plus zu verzeichnen. Dennoch ist der Kämmerer gesetzlich an die Prognosen gebunden. Und an diesen richtet sich auch die Maßnahme Haushaltssicherungskonzept, von der Politik gerne als „Damoklesschwert“ bezeichnet.

Allein in den Schulen geht es
um mehr als 50 Millionen Euro

Die Haushaltsprobleme ereilen die Stadt Kempen in einer ungünstigen Phase. Im Fußball könnte man von einem Gegentor in der Nachspielzeit der ersten Hälfte sprechen. Denn hausgemachte Schwierigkeiten fallen den Verantwortlichen in Verwaltung und Politik derzeit reihenweise auf die Füße. Vor allem in die Bausubstanz der städtischen Gebäude muss investiert werden. Allein für die weiterführenden Schulen steht eine Summe von weit über 50 Millionen Euro für die nächsten Jahre an. Ebenso ist Bedarf in den Grundschulen und Kindertagesstätten muss die Stadt auch bauen (siehe auch Seite 18). Vom Sanierungsstau in den Sporthallen mal ganz zu schweigen. Für solche Maßnahmen muss auch Personal her, was die Ausgaben im Etat schon jetzt um rund zwei Millionen Euro hat anwachsen lassen. Kurzum: Die Stadt Kempen hat ein großes Ausgabenproblem.

Da wird wohl die Gewerbesteuer auch nicht mehr lange helfen können. Noch sprudeln die Einnahmen wie in kaum einer anderen Stadt des Kreises Viersen. In diesem Jahr sind es bislang rund 27 Millionen Euro – Rekordwert in Kempen. Aber die Wirtschaft in Deutschland wartet ja eigentlich nur noch auf den konjunkturellen Einbruch. Steigende Ausgaben und sinkende Einnahmen – da braucht man nicht Adam Riese zu heißen, um zu wissen, dass das nicht funktionieren kann.

Und dann gibt es auch noch die vielen – zum Teil freiwilligen – Aufgaben und Visionen, die im Wahljahr 2020 durch Kempen schwirren. Was wird aus der Burg? Wann sanieren wir das Rathaus am Buttermarkt? Wann können wir für die St. Huberter Fußballer denn endlich einen Kunstrasen realisieren? Ach ja, und um den Klimaschutz muss sich die Stadt ja auch verstärkt kümmern. Dazu gibt es ein Bekenntnis aller Parteien.

Niederrheinisches „Wir gucken mal“ wird keinem helfen

Kempen müsse weg von einer „Ja-Aber-Politik“ und rein in die Wirklichkeit, sagte Grünen-Fraktionschef Joachim Straeten. In der Analyse des Kempener Dilemmas zwischen Finanzloch und Aufgabenflut kann man mit Blick auf die Führungspersönlichkeiten allerdings eigentlich nur zu einem Ergebnis kommen: Bürgermeister Volker Rübo muss in den verbleibenden Monaten seiner Amtszeit häufiger Nein sagen. Und auch sein Nachfolger, der am 13. September gewählt wird, muss ein starker Nein-Sager sein. Das am Niederrhein so beliebte „Wir gucken mal“ wird keinem helfen.

Sicher keine einfache Situation für die bisherigen Kandidaten Philipp Kraft (CDU), Christoph Dellmans (SPD/Grüne) und Cedric Franzes (FDP). Denn eigentlich wollen Wahlkämpfer ja gerne eine Art Aufbruch vermitteln. Ganz realistisch gesehen wird es für den neuen Bürgermeister aber zunächst darum gehen, Prioritäten zu setzen und eben Nein zu sagen. Ein Ansatz, der dem Wähler sicher schwierig zu vermitteln sein dürfte.

Die Projekte Burg und
Rathaus rücken in weite Ferne

Aber wozu muss der neue Bürgermeister denn Nein sagen? Nun, zwei Projekte sind bereits in mehreren Haushaltsreden der Fraktionsvorsitzenden erwähnt worden.

Zum einen ist da die Burg zu nennen. Es dürfte eher utopisch sein, in Zeiten der Verhinderung der Haushaltssicherung geschätzte zehn Millionen für ein Schmuckstück in die Hand zu nehmen. Die Kempener werden wohl damit leben müssen, dass die Burg instand gehalten, aber vorerst leer bleibt. Auch wenn die Bürgermeister-Kandidaten und die Parteien im Wahlkampf etwas anderes sagen sollten: Das Projekt Burg wird kurzfristig keine Rolle mehr spielen.

Zum anderen schlängeln sich die Verantwortlichen derzeit um die eigentlich dringend notwendige Sanierung des Rathauses herum. Das mehr als 50 Jahre alte Gebäude am Buttermarkt leer zu ziehen und dann zu sanieren, ist schon seit vielen Jahren der Plan. Inzwischen ist das Projekt auf der Prioritätenliste schon weiter nach unten gerückt. Mit Blick auf die Kosten, die unter dem Aspekt des „drohenden“ Denkmalschutzes recht hoch sein werden, dürfte das Thema auch erstmal in der Kiste bleiben müssen.

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