Ratingen: Blindenverein trifft sich zum „Tag des Weißen Stockes“

Sehende und Sehbehinderte tauschten beim „Tag des Weißen Stockes“ am Donnertag Erfahrungen aus.

Ratingen. Das Sehen ist nur einer von fünf Sinnen. Doch er erleichtert uns das Leben, lässt uns die Welt in allen Farben wahrnehmen. Er schenkt uns Licht und Schatten, bunte Blumen und Sonnenuntergänge. Ohne diesen Sinn scheint das Leben nicht nur trist - jeder Handschlag fällt mit einem Mal viel schwerer.

Sich ohne Sehkraft im Alltag zurechtzufinden, ist nicht einfach. Dorothea Kerlin weiß das nur zu gut. Die Ratingerin ist seit zehn Jahren sehbehindert. "Ich bin nicht völlig blind: Ich kann lediglich hell und dunkel unterscheiden. Gesichter beispielsweise kann ich nicht erkennen", erklärt sie.

Durch einen weißen Stock und eine gelbe Armbinde ist sie für jeden als sehbehindert zu erkennen. Doch mehr Rücksichtnahme bringen diese Erkennungszeichen nicht immer mit sich. "Ich habe lange in Köln gelebt. In der Großstadt ist es oft vorgekommen, dass ich angerempelt oder sogar angepöbelt wurde", erzählt Kerlin.

Umso mehr weiß sie die Veranstaltung des Ratinger Blinden- und Sehvereins (BSV) zu schätzen. Den 200. Geburtstag von Louis Braille, dem Erfinder der Blindenschrift, und den 40. "Tag des Weißen Stockes" nahm der Verein zum Anlass, mit sehbehinderten und gesunden Menschen den "Garten der Sinne" an der Wallstraße zu besuchen. Danach ging es in die Stadthalle, wo der Angersaal in ein "Dunkel-Café" verwandelt wurde.

"Der ,Garten der Sinne’ ist eine tolle Möglichkeit für Blinde, ihre Umwelt intensiv wahrzunehmen", schwärmt Kerlin. Den Garten gibt es seit April. Das ganze Jahr über kann dort mit Nase, Ohren und Tastsinn die Natur erkundet werden. Infotafeln liefern Wissenswertes zu den entsprechenden Pflanzen - natürlich in Blindenschrift.

Um zu demonstrieren, wie die Welt ohne Augenlicht wahrgenommen wird, wurden den gesunden Teilnehmern Brillen ausgeteilt. "Die Brillen gibt es in verschiedenen Abstufungen: Vom Grauen Star bis zur völligen Blindheit vermitteln sie einen realistischen Eindruck der entsprechenden Krankheit", so Wolfgang Lintl vom BSV.

Im "Dunkel-Café" konnten sich die 40 Besucher anschließend mit Kaffee und Kuchen stärken. Eine Herausforderung wartete auf die Sehenden: Im Café wurde ohne Licht gespeist. Das Besteck musste ertastet werden, die Kaffeetasse wurde dank einer Hilfestellung gefunden: "Die Tasse befindet sich auf 3 Uhr", verriet Marion Höltermann, Vorsitzende des BSV.

War das Geschirr gefunden, wurde es erst richtig schwierig: Der Kaffee wurde selbst eingeschenkt. Auch das Stück Kuchen problemlos zu verzehren, schien plötzlich keine Selbstverständlichkeit mehr. "So sieht der Alltag eines blinden Menschen aus", erinnerte Höltermann. "Ohne Sehkraft erlebt man die Welt ganz anders. Wer das einmal selbst ausprobiert hat, ist danach vielleicht etwas nachsichtiger mit den Blinden", hofft Dorothea Kerlin.

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