Stadt-Teilchen Düsseldorfer Werbe-Ikonen sterben aus

Wo einst die weiße Frau mit dem Bär im Mann tanzte, herrscht heute gähnende Ideenlosigkeit

Stadt-Teilchen: Düsseldorfer Werbe-Ikonen sterben aus
Foto: Marc Ingel

Düsseldorf. Eine Traueranzeige hat mich in diesen Tagen besonders traurig gemacht. Vilim Vasata ist tot. Er starb im Alter von 86 Jahren. Vasata war in den 60er Jahren so was wie ein Werbe-Papst. Wir hatten sogar drei davon, neben Vasata noch Michael Schirner und Werner Butter. Nur eine Branche wie die Werbung kann sich beim Tanz um das Goldene Kalb Konsum so was erlauben. Ihre Vasallen wurden „Die geheimen Verführer“ genannt. Düsseldorf war damals die Werbewelt. Da kam Frankfurt nicht mit. Von Berlin redete noch keiner.

Warum warb sich’s am Rhein so schön? Weil hier die Kreativität zu Hause war, Werber und Künstler sich gegenseitig befruchteten, die verrücktesten Ideen hatten und die tollsten Werbe-Figuren schufen, gegen die heutige Minions oder Pokémons wie Missgeburten wirken. Da war der Puschkin-Bär los, Seite an Seite mit der Kultfigur Frank S. Thorn, der eigentlich Hans Meyer hieß. Das wilde Tier war vielleicht mal ein Bärenmarke-Baby, hatten doch beide denselben Geburtstort: Nichts geht über Düsseldorf! Puschkin wirbt übrigens immer noch mit dem „Bär im Mann“.

Wahrscheinlich hat auch das HB-Männchen einen gehoben, bevor es in die Luft ging, als Tabakwerbung noch sein durfte. Auch der von Vilim Vasata ersonnene Krawatten-Muffel ist ein Düsseldorfer — ebenso wie der Camel-Mann, der welt- und meilenweit für seine Fluppe und sich dabei Löcher in den Schuh lief. Dann war da noch der brave Persil-Präsenter, dessen „Großmutter“, die weiße Persil-Frau, noch heute eine Stil-Ikone der Waschmittelwerbung ist. Die Jägermeister-Kampagne, wohl eine der Folgen-reichsten: „Ich trinke Jägermeister, weil . . .“, ist auch so eine Schnaps-Idee aus Düsseldorf, die immer mal wieder ein Comeback feiert, sogar bei der Jugend.

Bevorzugte Werbe-Stadtteilchen waren damals Oberkassel, das Zooviertel, die Innenstadt, Jugendstil-Villen oder Glaspaläste. Die besten Ideen entstanden in der Mittagspause, wenn die weiße Frau den Bär im Mann in der Kneipe um die Ecke traf, oft stundenlang, wurde alles dem Kunden auf die Rechnung gesetzt. Und wenn man mal ein Brett vorm Kopf hatte — zielte man eine Arbeitszeit lang aufs Dart-Brett. Um allzu viel Ablenkung auszuschalten, zog eine Agentur sogar in den Wald, nach Grafenberg (ganz früher Synonym für Irrenanstalt). Die verrückteste Adresse aber war ein Atelier an der Corneliusstraße, wo ein zertrümmerter weißer MG namens „Lotus“ an der Wand hin. Dort residierte Charles Wilp, dieser schwereloser Lebenskünstler, der den Overall als Arbeitsoutfit der Kreativen in Mode brachte. Er hat uns nicht nur den Puschkin-Bär aufgebunden, sondern löste auch den Afri-Cola-Rausch aus: „Sexy-mini-superflower-pop-op-Cola“.

Alles war in Afri Cola, vor allem dieses aufschäumende, prickelnde Zeit- und Lebensgefühl der Swinging Sixties. Und wenn die katholische Kirche protestierte gegen die colabekifften Ordensfrauen hinter geeisten Glasscheiben (deren aus den USA eingeflogener Plastiktrinkhalm 800 Euro gekostet hatte, aber Geld spielte damals keine Rolle) dann war das zusätzliche Werbung für die braune Brause.

Alles Spinner? Wilp stellte 1972 auf der documenta in Kassel aus. Dass Werbung Kunst ist, davon war Michael Schirner (der letzte noch lebende der Werbe-Päpste) schon immer überzeugt. Von ihm stammt der für mich genialste Werbe-Slogan aller Zeiten: SchreIBMmaschine. Mehr braucht eine Botschaft nicht.

Warum warb sich’s am Rhein so schön? Weil hier die Kreativität zu Hause war. Und die Stadt vor 30 Jahren nicht nur schön, sondern auch so klug war, sich ihrer zu bedienen. „Das beste an Düsseldorf ist die Werbung für Düsseldorf“, schwärmte der damalige Oberbürgermeister Klaus Bungert. Was man heute leider nicht mehr so sagen kann. Düsseldorf macht schon längst keine gute Werbe-Figur mehr. Es gibt zwar hin und wieder die eine oder andere ermüdende Podiumsdiskussion — aber insgesamt herrscht gähnende Ideenlosigkeit. Die Werbe-Ikonen sterben aus in dieser Stadt. Dabei schlummert vielerorts noch jede Menge Kreativität. Man müsste sie nur mal entdecken und wecken.

Wenn sie schon keine eigenen neuen Ideen haben, sollten die Düsseldorfer Werbe-Strategen vielleicht mal in alten Entwürfen kramen. Michael Schirner kreierte eine Kampagne, die bei genauerer Betrachtung heute noch aktuell ist. Slogan: „Düsseldorf — eine gute Adresse“ — mit zündenden Zeilen wie „Düsseldorf hat goldenen Boden“ (fürs Handwerk) oder „Düsseldorf, die Stadt des Lächelns“ (über unsere japanischen Mitbürger) oder ganz einfach „Made in Düsseldorf“ (mit allen unseren tollen Markenartikeln).

Der andere, leider auch schon verstorbene Werbepapst Werner Butter, ließ Bewerber beim ersten Gespräch einen Stern oder Spiegel durchblättern, eine Kampagne aussuchen und dazu ein neues Motiv entwickeln. Dann wusste er Bescheid. Dafür brauchte er kein Assessment-Center. Das hatte er quasi im Kopf, wie eine App. Neben vielen anderen.

Butter, übrigens ein echt Düsseldorfer Jong aus Flingern, war zwar bei der Düsseldorf-Kampagne unterlegen, dafür hat er tolle VW-Werbung ins Rollen gebracht: „Er läuft und läuft und läuft“, „Da weiß man, was man hat“ (später auch für Persil genutzt) oder „Der Ervolkswagen.“ So ein Pfund wie Butter würde VW auch heute noch gut tun. Butter hat mal gesagt: „Gute Werbung muss immer auch Werbung für die Werbung sein.“ Bevor er die machte, war er Journalist, Feuilletonist in Berlin — wo er wie einst Kurt Tucholsky schon mal unter Pseudonym schrieb, zum Beispiel als Marga Rine.

Nicht nur deshalb war Werner Butter mein Vorbild, ebenso wie Michael Schirner mit seiner SchreIBMmaschine. Ich hatte das Glück, mit beiden zu arbeiten und viel von ihnen zu lernen. Das wollte ich dann auch noch von Vilim Vasata, als der jemand für Henkel-Werbung suchte. Viele Düsseldorfer Agenturen arbeiteten „auf Henkel“. Hatte ich auch schon. Aber der große Vasata gab mir keinen Job, sondern einen guten Rat: „Sie sind doch Journalistin. Bleiben Sie dabei.“

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