Stadt-Teilchen Streifzug durch eine jugendliche Zusteller-Vergangenheit in Düsseldorf

Düsseldorf · Früher war manches besser: Der Job der Paketzusteller, zum Beispiel. Vom alten Paketzentrum an der Erkrather Straße ist nichts mehr übrig.

 So sieht es heute auf dem ehemaligen Gelände des Postgebäudes aus.

So sieht es heute auf dem ehemaligen Gelände des Postgebäudes aus.

Foto: Michaelis, Judith (JM)

Ich musste kürzlich mal wieder an die armen Paketboten denken. Das hatte ich schon vor Weihnachten getan, als diese Helden der Arbeit die von der Politik lediglich geplante Umweltspur auf eigene Faust eingerichtet hatten, indem sie einfach die jeweiligen rechten Spuren der Haupteinfallsstraßen mit ihren Transportern blockierten und so den Verkehr auf eine Spur verwiesen, was die Zahl der vorbeieilenden Fahrzeuge radikal reduziert haben dürfte. Sie taten das nicht aus böser Absicht, sondern weil sie nicht anders können. Paketboten sind heutzutage in der Mehrzahl Geknechtete, denen Arbeitsbedingungen zugemutet werden, die oft unterhalb dessen liegen, was das Gesetz erlaubt.

Das war einmal anders. Der Gedanke kam mir, als ich kürzlich vom Worringer Platz aus die Erkrather Straße hochfuhr. Ich wollte beim Tanzhaus einen Kaffee trinken, vergaß aber abzubiegen, weil mein Blick auf der gegenüberliegenden Seite festgehalten wurde. Ich sah Bagger auf Trümmern wüten, ich sah Staub, ich sah Zerstörung. Die alte Paketumschlagszentrale – abgerissen, einfach weg. Ich fuhr erst einmal rechts ran, atmete durch, ging ein paar Meter zurück und bestaunte das Desaster. Ich spürte ein bisschen Wehmut, weil mit dem Gebäude auch ein Stück meiner Vergangenheit verschwunden ist.

 WZ-Kolumnist Hans Hoff.

WZ-Kolumnist Hans Hoff.

Foto: NN

Ich habe da nämlich gearbeitet vor meiner Studentenzeit, irgendwann in den Siebzigern. Drei Monate nur. Mein erster Job. Mit Lohnsteuerkarte und allem drum und dran. Ich war als Paketfahrer eingesetzt und bekam einen VW-Bus zugeteilt, einen echten Bulli. Den musste ich in aller Herrgottsfrühe beladen, nachdem ich vorher die Pakete für meinen Bezirk sortiert hatte. Ich teilte die Sendungen ein nach Straßen und bildete Häufchen im Bulli. Irgendwann, kurz nach acht oder so, tuckerte ich dann los, und alle anderen taten es mir gleich.

Das war jedes Mal ein erhabenes Bild, wenn sich 50 oder mehr gelbe Lastenträgermobile Richtung Erkrather Straße bewegten und sich in alle Winde verstreuten. Ich fuhr rechts, den Berg hoch. Mein Bulli tat sich ein bisschen schwer dabei, sein Motor hatte zu kämpfen mit der in ihm gestapelten Volllast. Ich fuhr gen Osten, oft in die Sonne hinein. Immer der Erkrather Straße nach.

Als ich nun sentimental die Trümmer betrachtete, kam mir die Idee, noch einmal meinen alten Zustellbezirk aufzusuchen. Ich fuhr also wieder gen Osten und landete in Eller. Ich fand die Krippstraße. Sofort war ich zurück in den Siebzigern. Ich sah den schlanken jungen Hans mit langen lockigen Haaren in seinem Bulli heranrollen, elegant einparken und dann zur Tat schreiten. Locker, fröhlich und oft ein Lied auf den Lippen.

Für mich war damals pure Entspannung, kein wirklich harter Job. Ich war jung und reich, denn der Job vervielfachte auf einen Schlag meinen persönlichen Etat. Dabei blieb das Geld, das ich aufs Konto überwiesen bekam, während all der Monate unangetastet. Ich konnte leben vom Trinkgeld, das ich regelmäßig zugesteckt bekam. Damals mussten die Menschen noch eine Zustellgebühr entrichten, und die lag bei irgendeinem Betrag zwischen einer und zwei Mark, auf jeden Fall aber so günstig, dass die Kunden mehrheitlich aufrundeten. Folglich waren meine Taschen stets gefüllt mit Klimpergeld.

Aber ich lebte nicht nur vom Geld allein, ich hatte auch etwas von der Freude der Menschen, die ich mit einem Paket beglückte. Damals in den Siebzigern waren Pakete noch nicht so alltäglich wie heute. Wer ein Paket bekam, der hatte Grund zu lächeln. Davon profitierte ich.

Manchmal hatte auch ich Grund zu lächeln. Allerdings nur leise und in mich hinein. Das passierte stets, wenn ich ein Paket ohne Absender zuzustellen hatte, das aber deutlich den Poststempel von Flensburg trug. Als gewiefter Bote wusste ich natürlich, dass in solchen Behältnissen jene Hilfsmittel schlummerten, die Beate Uhse zur Förderung der ehelichen Sexualhygiene anbot. Wenn ich da bei der Übergabe eine Sekunde zu lange die Empfängerin oder den Empfänger anschaute, konnte es passieren, dass diese erröteten.

Aus Gesprächen mit den anderen Zustellern erfuhr ich aber bald, dass bei mir unterdurchschnittlich wenige Flensburg-Pakete zuzustellen waren. Mehr hätte auch nicht gepasst zu diesem Teil von Eller, der sich bis heute eine gewisse städtische Dörflichkeit bewahrt hat.

Beim meinem Streifzug kam ich nun auch durch die Vohwinkelalle. Die ist heute wie damals in der Mitte etwas gewölbt, was zur Folge hat, dass es ein Gefälle zu den Häusern hin gibt. Das ist mir damals beinahe zum Verhängnis geworden, denn als ich wieder einmal mit forschem Schritt meinem Bulli entsprang und zum nächsten Empfänger eilte, brüllte mich eine Passantin an. „Ihr Bus“ rief sie, und als ich mich umblickte, sah ich, was sie meinte. Wie ein anhängliches Hündchen hatte sich mein Bulli auf meine Fersen geheftet und rollte langsam auf mich zu. Ich hatte vergessen, einen Gang einzulegen und die Handbremse anzuziehen. Todesmutig und so schnell, wie man das wohl nur mit Anfang 20 hinbekommt, hechtete ich zurück, riss die Tür auf und kam im allerletzten Moment noch an die Handbremse. Millimeter vor einem Garagentor kam mein Bulli zum Stehen. Ich atmete danach sehr schwer durch.

Noch schlimmer kam es nur, als ich mal einen Tag abkommandiert wurde, in einem anderen Bezirk als Fahrer für einen aus meiner Sicht sehr großen Mercedes-Transporter auszuhelfen. Es war ein riesiger Bezirk, der mit zwei Mann besetzt war. Der Kollege kannte sich aus und stapelte hinten im Transporter penibel genau die Pakete, bildete kleine Pyramiden und akkurate Pappkartonburgen. Ich bewunderte das, hatte aber mit der inneren Logistik wenig zu tun. Ich war ja vor allem der Fahrer.

Als es kurz nach acht Uhr losging, freute ich mich, dass ich solch ein großes Gefährt steuern durfte. Ich hatte mit meinem Bulli Selbstbewusstsein getankt und glaubte nun zu wissen, was einen guten Lenker ausmacht. Ich wusste nichts.

Vom Bulli war ich gewohnt, dass man das Bremspedal kräftig treten musste, weil es erst reagierte, wenn es schon beinahe das Bodenblech küsste. Dann verzögerte der Bulli gutmütig, und nach einigen Metern gelangte der Wagen zum erwünschten Stillstand. Ich nahm an, dass alle größeren Laster solch ein Verhalten an den Tag legen und trat dementsprechend an der ersten Ampel mit ganzer Kraft in die Eisen. Ein großer Fehler, denn der Transporter war kein Bulli. Er hatte eine besondere Bremse, die wohl auch mit sofortigem Stillstand reagiert hätte, wenn eine Fliege nur nah genug am Bremspedal vorbeigeflogen wäre.

In der Folge erlebten hinter mir alle Pyramiden und Paketburgen ein heftiges Erdbeben, und die Einzelteile purzelten wild durcheinander, woraufhin mein Kollege sich fluchend nach hinten verzog, um erneut Baumeister zu spielen. Leider widerholte sich mein Bremsversagern noch ein paarmal. Um es kurz zu sagen: Der Kollege und ich wurden an diesem Tag keine Freunde mehr. Wie froh war ich, als ich am nächsten Tag wieder meine entspannte Bulli-Tour nach Eller starten konnte.

Daran erinnerte ich mich, als ich nun durch Eller kurvte und schließlich in den Kamper Weg einbog, an dessen Ende in Vennhausen auch meine Tour täglich zu Ende ging. Ich entdeckte sogar die Stelle, an der ich mich nach der Tour oft hinten im Bulli zum Schlafen gelegt hatte. Das war nötig geworden, nachdem ich in der ersten Woche stets drei Stunden vor den anderen Zustellern zurück ins Depot gekehrt war und dabei noch nicht einmal sonderlich erschöpft wirkte. Nach ein paar Tagen nahm mich ein älterer Kollege beiseite und schilderte mir seine Rückenprobleme, die er sich durch jahrelange Zustellerei zugezogen hatte. Ob ich ihm und den anderen festen Zustellern denn als Aushilfe die Preise kaputtmachen wolle, fragte er so, dass sich väterlicher Rat und eine leise Drohung mischten. Ich verstand und kam in den folgenden Wochen immer erst auf den Hof zurück, wenn die meisten anderen schon da waren.

Daran muss ich nun denken, wenn ich die zerstörte Paketumschlagsstelle sehe und die gehetzten Paketboten beobachte. Vieles ändert sich. Nicht alles wird besser. Aber meine einmal zugestellte Erinnerung, die bleibt.

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