Stadt-Teilchen Es fehlt in Düsseldorf an artgerechter Haltung für Büroangestellte

Düsseldorf · Die Käfighaltung für Hühner hat langfristig keine Chance. In Sachen Tierschutz kommt die Menschheit voran. Ganz anders sieht das aus bei der Haltung des durchschnittlichen Büroangestellten.

Wie im Hühnerstall sitzen manche Büro-Menschen an ihrem Arbeitsplatz.

Wie im Hühnerstall sitzen manche Büro-Menschen an ihrem Arbeitsplatz.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Die Käfighaltung für Hühner hat langfristig keine Chance. Niemand mit einem IQ über Zimmertemperatur möchte mehr Eier essen von zusammengepferchten Geschöpfen, denen kaum Platz bleibt, ihren natürlichen Bewegungsdrang auszuleben. In der noch nicht existenten Charta der Hühnerrechte ist zudem hinterlegt, dass jedem Huhn mindestens das Zehnfache seines eigenen Volumens an Bewegungsraum zugestanden werden muss. Kurz gesagt kommt die Menschheit voran in Sachen Tierschutz. Langsam zwar, aber immerhin.

Ganz anders sieht das aus bei der Haltung des durchschnittlichen Büroangestellten. Der wird weiterhin nicht durchweg artgerecht gehalten. Entweder man sperrt ihn ein in große Räume, die mit ihrer Möbelanordnung ein bisschen wirken wie Galeeren. Schreibtisch, Stuhl, Schrank, Schreibtisch, Stuhl, Schrank, Schreibtisch...

WZ-Kolumnist

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Foto: NN

Oder man zwängt ihn ein in einen Käfig. Da sitzt er dann, allein oder mit einem Zellengenossen und tut, was der Arbeitgeber ihm aufgetragen hat. Man kann das gerade dieser Tage sehr schön beobachten am Graf-Adolf-Platz oder im Hafen. Dort muss man sich nur gegenüber den imposanten Bürogebäuden postieren und kann beobachten, unter welchen Bedingungen Menschen ihr Tagewerk verrichten müssen.

Man hat ja bei Hühnern schon häufiger beobachtet, dass der dauerhafte Aufenthalt im Käfig erst zur Aggression gegen sich selbst führt und dann zur Apathie. Ihre Reflexe verkümmern. Sie schauen dann nur noch in ein undefiniertes Nichts, ähnlich dem Panther von Rainer Maria Rilke, dem es vorkam, „als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“

Ich musste kürzlich an eben dieses Rilke-Gedicht denken, als ich am Graf-Adolf-Platz auf die Bahn wartete. Es war gerade dunkel geworden, und so präsentierte sich mir das GAP 15 genannte Hochhaus auf den ersten Blick wie ein riesiger Adventskalender, an dem einige Fensterchen schon offenstanden, andere aber noch der Erleuchtung harrten. Ich fragte mich, nach welchen Regeln die Fensterchen wohl von wem geöffnet werden und wo die 24 versteckt ist. Man kommt ja dieser Tage leicht auf solche Gedanken, wenn einen von überall der süßliche Duft von Glühwein um die Nase weht. Weihnachten ist überall. Diesem Zustand entgehst du nicht in der Großstadt.

Je länger ich indes auf diesen riesigen Adventskalender starrte, desto blasser wurde meine infantile Illusion von den Fensterchen. Bald ergriff mich so etwas wie Trauer, denn was ich sah, war nicht dazu angetan, mein Herz nachhaltig mit vorweihnachtlicher Freude zu füllen. Ich sah Menschen in trostlosen Behältnissen, die Büro zu nennen einem brutalen Euphemismus nahekäme. Oder darf man es Büro nennen, wenn es vier Wände gibt mit zwei Schreibtischen, zwei Stühlen, einem Ablagecontainer und drei Leuchtstoffröhren oben drüber?

Ich konnte das sehr genau sehen, denn meine Bahn ließ sich Zeit. Irgendwas mit Betriebsstörung. Also ließ auch ich mir Zeit und kam mir bald vor wie ein Naturforscher, der irgendwo in der Wildnis ein Zelt aufschlägt und fremde Wesen beobachtet.

Ich fixierte zwei Büroangestellte. In dunklen Hosen und weißen Hemden, also in einem sehr einfallslosen Look. Ich fragte mich, ob ihnen diese Uniformität vom Arbeitgeber verordnet wurde oder ob sie es selbst so gewählt haben, um nicht weiter aufzufallen in der Masse der Insassen. Ich schaute kurz in andere Fenster, und auch dort saßen vornehmlich junge Männer in dunklen Hosen und weißen Hemden.

Man sieht ja bei diesen Bürogebäuden zwangsläufig mehr als früher. Das ist der Architektur geschuldet, die dieser Tage darauf ausgerichtet ist, möglichst viel Glas zu verbauen und Fenster nur in ihrer bodentiefen Version anzubieten. Ich weiß nicht, was das aussagen soll. Vielleicht ist es einfach nur praktisch. Man vermeidet zumindest Fensterbänke, auf die jemand Blumen stellen könnte. Blumen machen nur Ärger im Büro. Sie vertrocknen die meiste Zeit oder schimmeln rum und vergiften dann das Raumklima. Vor allem aber halten sie die Insassen von der Arbeit ab, wenn diese sich um den Erhalt der Flora kümmern.

Schön ist der bodentiefe Einblick indes nicht für alle, denn für jene, die wie ich unten an der Haltestelle stehen, wirkt die Von-unten-Perspektive doch anders als jene, die von den Insassen eingenommen wird. Man schaut halt unter die Schreibtische und sieht oft ein ziemliches Wirrwarr an Kabeln, die dort verlegt sind. Ich fragte mich, ob in der Kantine des GAP 15, so es denn eine gibt, ab und an auch Kabelsalat auf der Speisekarte steht.

Ich beobachtete die beiden Weißhemden und stellte fest, dass sie eindeutig an Bewegungsarmut leiden. Sie hockten apathisch da und starrten auf etwas, das ich nicht sehen konnte. Ich gehe davon aus, dass es da Bildschirme gibt, die ihren Blick fesselten. Sie schauten, und dann guckten sie, und dann schauten sie wieder.

Zwischendurch war ich mir nicht sicher, ob noch Leben in diesen Gestalten wohnte. So starr verharrten sie in ihrem Nichttun, das natürlich kein solches war. Sicherlich verfolgten sie gerade, wie sich wichtige Tabellen veränderten, oder sie arbeiteten an einer großartigen Präsentation. Ein Klick hier, ein Klick dort.

Einmal bewegte sich eines dieser Weißhemden. Es lehnte sich zurück in seinem sicherlich ergonomisch geformten Bürostuhl und verschränkte die Arme kurz hinter dem Kopf. Aber das war nur eine Episode. Schnell nahm das Weißhemd wieder seine Standardposition ein und verharrte wieder lange regungslos.

Ich fragte mich allen Ernstes, wofür die beiden ein Büro brauchen, wofür der Raum gut ist, der sich neben ihnen, um sie herum auftut. Kurz keimte der Gedanke, dass man dort prima auch ein paar Hühner picken lassen könnte. Vielleicht wäre das zum Nutzen aller Insassen. Die Hühner hätten Auslauf, und die Weißhemden könnten hier und da ihren Blick von ihren eminent wichtigen Charts abwenden und Zerstreuung finden beim Blick auf die pickenden Hühner.

Meine Bahn kam, und ich ließ sie fahren. Ich war zu fasziniert und wollte wissen, was die da machen, wie sie tun, was sie tun und wie lange sie es tun. Ich fühlte mich nicht als Glotzer, vielmehr als Wissenschaftler, der nach Erkenntnis sucht. Aber dann stellte sich heraus, dass ich nicht wirklich zum Wissenschaftler taugte, denn trotz meines dicken Mantels fröstelte es mich. Dezember halt.

Wenigstens habt ihr es warm“, dachte ich und schickte diesen Gedanken zu den Weißhemden hinauf, die immer noch in ihrer Standardposition verharrten. Es klingelte, und meine Bahn stand vor mir. Vor dem Einsteigen warf ich einen letzten Blick auf die beiden, die mir irgendwie schon so vertraut waren, dass ich mir einbildete, dass ich Anteil an ihrem Schicksal habe. Hätte ich in das Hochhaus stürmen und sie befreien müssen? Hätte ich diese einsamen Wesen zu Heiligabend einladen sollen?

Ich stieg mit solchen Gedanken in die Bahn, und die Bahn fuhr fort mit mir. Ich sinnierte noch lange über das Schicksal der Weißhemden und fragte mich, ob sie wohl Rilke kennen, ob auf ihrem Bildschirm jemals „Der Panther“ erschienen ist. Ich fuhr nach Hause und kam nicht zur Ruhe. Ich ging zu Bett und fand keine Ruhe. Ich dachte, dass man sich als Weißhemd im GAP 15 manchmal wie ein Panther fühlen muss. Ich versetzte mich hinein in Rilkes Panther. Ich murmelte den Schluss. „Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille / sich lautlos auf — Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille — und hört im Herzen auf zu sein.“ Ich hatte schweren Schlaf in dieser Nacht.

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