Schulkonflikte Wenn der elterliche Ehrgeiz Blüten treibt

Düsseldorf · Völliges Desinteresse am Schulbetrieb oder ständiges Lehrer-Bashing: Die Ränder der Elternschaft fransen immer mehr aus. Erfahrungen vor Ort.

 Grundschüler lesen ihre Zeugnisse. Wenn die Noten nicht den Erwartungen der Eltern entsprechen, wächst die Konfliktbereitschaft mit den Lehrern.

Grundschüler lesen ihre Zeugnisse. Wenn die Noten nicht den Erwartungen der Eltern entsprechen, wächst die Konfliktbereitschaft mit den Lehrern.

Foto: picture alliance / dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Jutta Schiefer (Name geändert) kennt beide Extreme. Die Konrektorin einer Grundschule im Großraum Düsseldorf hat auch Berufserfahrungen an Realschulen. „Da gab es Eltern, die habe ich über Jahre nicht gesehen.“ Völliges Desinteresse, gerade bei den Eltern der Kinder, die auf der Kippe standen, sozial wie fachlich. „Da herrschte die Haltung vor: Schule ist ein Dienstleistungsbetrieb und hat sich um alles zu kümmern. Ich muss mich um gar nichts kümmern.“

Bildungspartnerschaft
auf dem Prüfstand

Besonders haften geblieben ist der Lehrerin ein Kind, das über Wochen ohne Hefte erschien – bis sich die Mutter eines Klassenkameraden erbarmte und mit dem Kind einkaufen ging. „Manche Eltern“, so Schiefer, „sind noch nicht einmal in der Lage, ihrem Kind bei der Suche nach einem Praktikumsplatz zu helfen.“ Von der viel beschworenen Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus keine Spur. Kinder, die schon den Schulbesuch mit der Einstellung „Ich gehe später sowieso hartzen“ verbinden, das ist das eine Extrem.

Das andere Ende der Skala lernt die 37-Jährige an ihrem jetzigen Arbeitsplatz kennen. Mütter, die das Zuspätkommen des Schülers damit erklären, sie seien schon unterwegs gewesen, hätten aber vergessen, ihrem Kind die Anziehsachen rauszulegen. Die jeden Tag vor der Tür stehen, um ihrem Nachwuchs Sportsachen, Butterbrote oder Regenjacken hinterherzutragen. Oder Väter, die auch fünfstellige Beträge nicht abschrecken, ihr Kind im Konfliktfall von der Schule zu nehmen und auf eine Privatschule zu schicken. „Dort können sie dann über die Spenden Druck ausüben.“

Natürlich, es gibt sie weiterhin: die engagierten, verständnisvollen und hilfsbereiten Eltern, die sogar bereit sind, Urlaub zu nehmen, um als Begleitung für eine Klassenfahrt oder einen Ausflug zur Verfügung zu stehen. Aber die Ränder fransen aus – nach beiden Seiten. Der elterliche Ehrgeiz treibt mitunter Blüten: Die Auswertung der Klassenarbeit wird überprüft und beim Abzeichnen mit dem Vermerk „Richtige Punktzahl“ versehen. Manche Note, die nicht passt, ist auch schon mal mit Tippex durchgestrichen worden. Gibt es bei den Bundesjugendspielen nur eine Sieger- und keine Ehrenurkunde, steht die Leistungsberechnung auf dem Prüfstand. Und wenn die Schulempfehlung nicht wie gewünscht ausfällt, folgen Drohgebärden mit dem Anwalt. „Einige ziehen dann vielleicht den Schwanz ein und machen noch ihr Kreuzchen bei ,eingeschränkt Gymnasium’“, sagt Schiefer.

Helikoptereltern auf der einen und bildungsferne Eltern auf der anderen Seite „und dazwischen ganz viele Eltern, die Kuchen backen und Geld abliefern, aber sonst am liebsten alles abnicken sollen“, so stellt sich Anke Staar, Vorsitzende der Landeselternkonferenz NRW, die Bildungspartnerschaft allerdings auch nicht vor. „Es gibt Schulen, da haben die Lehrer verstanden, welche Potenziale die Eltern haben.“ Das Spannungsverhältnis zwischen Lehrern und Eltern beruhe in erster Linie auf dem stark leistungsorientierten Schulbetrieb: „Schüler werden nach ihren Defiziten beurteilt und nicht nach dem, was sie können.“

Ständig werde den Familien zudem gesellschaftlich gespiegelt, dass Haupt- und Realschulen minderwertig seien und keine gleichwertige Möglichkeit, später eine auskömmliche Arbeit zu finden. „Viele Kinder erleben diese Angst pur zu Hause. Und wir schaffen es nicht zu sagen: Schule ist der Ort, wo wir eure Stärken fördern.“

Stefan Behlau, NRW-Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) und bis zum vergangenen Jahr selbst Leiter einer Hauptschule, ist dagegen überzeugt: „Ein Stück mehr Vertrauen in die Fähigkeiten der Lehrkräfte würde helfen, auch in Konfliktfällen.“ Behlau meint damit vor allem „das Grundvertrauen, dass Lehrer das wollen, was die Eltern auch wollen, nämlich das Beste für das Kind. Manchmal vielleicht auf unterschiedlichen Wegen, aber das Ziel ist häufig gleich.“ Da sei es nicht hilfreich, wenn am Mittagstisch sofort das Lehrer-Bashing beginne, ohne die andere Seite überhaupt zu hören.

Die Erziehungs- und Verantwortungspartnerschaft zwischen Lehrern und Eltern, sagt Behlau, beruhe nun mal auf Gemeinschaft und der Bereitschaft sowohl zum Dialog als auch zum Zeitaufwand. „Fakt ist, dass Eltern in der Schule ein hohes Mitwirkungsrecht haben.“

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