Demenz und die Last der Pflegenden Ein Hilferuf pflegender Angehöriger

Düsseldorf · Mehr als 300.000 Demenzkranke gibt es allein in NRW. Die allermeisten werden zu Hause gepflegt - von dem „größten Pflegedienst der Nation“. Die Probleme der Angehörigen verschärfen sich immer weiter.

 Pflegende Angehörige von Demenzkranken haben es oft nicht leicht, Hilfe zu finden.

Pflegende Angehörige von Demenzkranken haben es oft nicht leicht, Hilfe zu finden.

Foto: David Hecker/dpa/David Hecker

Es sind bewegende Geschichten, die Aranka Hermanns und das Ehepaar Kresse da erzählen. In dem vollbesetzten Rund am Rhein in Düsseldorf, in dem sonst die Landtagsabgeordneten ihren manchmal kleinlichen Debattenstreit austragen. Und wo es an diesem Freitag um die Probleme der Angehörigen von Demenzkranken geht.

Aranka Hermanns schildert, wie ihr Mann, es war 2014, von einem Arzttermin zurückkehrte. Wie er sie auf einmal zurückweist, sie aus dem gemeinsamen Schlafzimmer verbannt. Dass sie auf dem Boden schlafen muss, „weil sie nichts anderes verdient“ habe. Was sie später erfährt: Er hatte die Diagnose bekommen, dass er bald sterben werde. Der demente Ehemann will verhindern, dass sie etwas davon erfährt, nimmt sie zu späteren Arztbesuchen nicht mit. Sie aber drängt darauf, dabei zu sein. Bis auch sie es vom Arzt erfährt.

Noch ein letztes Mal zum Tanzen nach Berlin

Trotz seines abweisenden Verhaltens will sie ihn pflegen, ihm zurückzugeben, was er ihr im Leben geschenkt hat, die Kinder, schöne Jahre. Vier Jahre pflegt sie ihn. „Er hat nie erfahren, dass ich wusste, er würde sterben“, sagt sie. Und die Pflege schafft sie auch nur, weil Pflegedienst und Angehörige ihr helfen. Und da kommt auch er ihr wieder näher. Sie erzählt, wie er sich wünschte, mit seiner Pflegekraft nach Berlin zu fahren. Zum Tanzen. Sie fahren zu dritt. Er tanzt mit seiner Pflegekraft am Brandenburger Tor. Dann auch mit ihr, Aranka. „Und dann hat er zu mir gesagt: Du bist die beste Frau der Welt.“

Warum Aranka Hermanns all das erzählt vor so vielen fremden Leuten? Weil sie sich für das vom Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW auf die Tagesordnung gebrachte Anliegen stark macht. Die Verbandsvorsitzende Regina Schmidt-Zadel nutzt das Symposium im Düsseldorfer Landtag für einen Appell an Politik und Gesellschaft: Lasst die pflegenden Angehörigen von Demenzkranken nicht allein mit ihrer gewaltigen Aufgabe. Allein in NRW gebe es mehr als 300.000 Demenzkranke, 70 Prozent von ihnen werden zu Hause gepflegt. Den „größten Pflegedienst der Nation“ nennt Schmidt-Zadel die pflegenden Angehörigen.

Gewiss, gesteht sie zu, die Situation in vielen Pflegeheimen sei kritisch, aber ohne die pflegenden Angehörigen würde die Pflege ganz zusammenbrechen. Dabei verschärften sich die Probleme der Angehörigen immer weiter. Es gebe kaum Kurzzeitpflegeplätze. Weil Mitarbeiter ambulanter Pflegedienste von besser bezahlenden Krankenhäusern abgeworben würden, müssten einige ihre Arbeit einstellen. Folge: Die Angehörigen der an Demenz Erkrankten verlieren auch diese Unterstützung. Überforderung, Zusammenbruch und manchmal sogar Gewalt seien dann die Konsequenz.

Schmidt-Zadel fordert, die pflegenden Angehörigen nicht allein zu lassen. Sie hat Vereine und Kirchen angeschrieben, zu helfen. Sie fordert, dass zumindest ein qualifiziert besetztes Nottelefon eingerichtet wird – für Angehörige, die nicht mehr weiter wissen. Es brauche Anlaufstellen, bei denen sich die Angehörigen informieren können. „Wir brauchen einen Landesdemenzplan“, sagt Schmidt-Zadel.

„Regina hat darauf bestanden, dass es alle wissen“

Auch Martin Kresse aus Korschenbroich ist pflegender Angehöriger. Seine Frau Regina sitzt neben ihm. „Seit fünf Jahren wissen wir, dass sie krank ist“, sagt er. Auf die Frage des Interviewers spricht seine Frau zögernd, aber doch verständlich. Das sei ein Schock gewesen, erinnert sie sich an die Tage, als ihre Demenz diagnostiziert wurde. „Erst denkt man, ach, ich bin heute nicht gut drauf, aber dann musste ich mich dem stellen. Am liebsten wäre ich weggelaufen. Aber ich habe ja meinen Martin.“

Ihr Martin erzählt, wie er das schafft mit der Pflege. Nur mit ganz viel Hilfe von Angehörigen und Nachbarn, sagt er. „Regina hat es mir leicht gemacht“, sagt er. „Sie hat darauf bestanden, dass es alle wissen.“ Nur so könne man ja auch um Hilfe bitten. Wichtig im Alltag sei, das Tempo herauszunehmen, Stress zu reduzieren, wiederkehrende Aktivitäten wie Walken, Malen oder Sport für seine Frau zu organisieren. Und auch mal nein zu sagen, wenn Regina zu viel von ihm verlangt. Und seinen eigenen Hobbys nachzugehen, um nicht auszubrennen. Auch Kresse fordert, dass Beratungsleistungen für Angehörige und Ehrenamtler gestärkt werden. Und seine Frau Regina sagt zum Schluss durchaus reflektiert: „Das Wichtige ist, dass ich weiß, da sind Leute bei mir. Wichtig ist, dass ich immer jemanden finde, bei dem ich andocken kann.“

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