„J. Edgar“ - Eastwood „outet“ FBI-Chef Hoover

Los Angeles (dpa) - Schon einmal hat sich Leonardo DiCaprio in eine mächtige historische Figur verwandelt. In „Aviator“ (2004) wurde er unter der Regie von Martin Scorsese zu dem exzentrischen Flugpionier Howard Hughes.

Jetzt macht mittlerweile 81 Jahre alte Clint Eastwood als Regisseur aus dem 37-jährigen Star einen der mächtigsten Männer Amerikas.

Eine dicke Portion Make-up und DiCaprios feine Verwandlungskunst bringen den FBI-Chef J. Edgar Hoover auf der Leinwand zum Leben.

„J. Edgar“ ist keine gewöhnliche Filmbiographie über die Karriere und die Macht des legendären und gefürchteten Gründers der amerikanischen Bundespolizei. Es ist vielmehr das sensible Porträt eines Mannes mit vielen Schwächen, die Hoover sein Leben lang verbergen wollte. Das Bild des Muttersöhnchens, von Selbstzweifeln zerrissen, ein verkappter Homosexueller, der sich nie offen zu einer Liebe bekannte. Das ist die andere Seite, die Eastwood mit Fingerspitzengefühl enthüllt.

Das Drama beginnt mit Hoover als altem Mann am Ende seiner knapp 50-jährigen FBI-Karriere. Doch an Kraft hat er nichts verloren. Er diktiert jungen Sekretären seine Lebensgeschichte, eine selbstgefällige Mischung aus Fakten und Selbstverherrlichung. In Rückblenden führt Eastwood die Zuschauer in Hoovers Leben zurück.

Nach dem Jurastudium tritt der strebsame Musterschüler 1917 in den Staatsdienst ein. In einer kleinen Abteilung für Sondereinsätze im Justizministerium macht er schnell Karriere. 1924 wird er zum Chef des Bureau of Investigation, daraus macht er die mächtigste Polizeiorganisation der Welt. Hoover geht akribisch und skrupellos gegen alles vor, was er für staatsfeindlich hält: Verbrecher, Kommunisten, Radikale, Freidenker. Er legt eine Zentralkartei an, in der Millionen von Fingerabdrücken gesammelt wurden. Er führte Spurensicherung, Wanzen und Bespitzelung ein.

Er sonnte sich in den Erfolgen seiner Truppe bei der Jagd auf bekannte Verbrecher wie John Dillinger und den Entführer und Mörder des Lindbergh-Babys. Er schuf sich eine Machtposition, die ihn fast fünf Jahrzehnte lang bis zu seinem Tod 1972 an der Spitze des FBI hielt. Hoover diente unter acht Präsidenten, viele davon ließ er ausspionieren. Doch in 137 Minuten kann Eastwood das jahrzehntelange Machtspiel nur anreissen, wichtiger ist ihm die menschliche Seite.

Die wenigen Personen, die in Hoovers Privatleben eine Rolle spielten, hat Eastwood perfekt besetzt. Judi Dench glänzt als seine dominante Mutter Anna Marie. Naomi Watts ist seine treu ergebene Sekretärin Helen Gandy. Und dann ist da noch Hoovers enger Freund, Vertrauter und vielleicht Geliebter Clyde Tolson. Armie Hammer („The Social Network“) mimt Hoovers galanten Stellvertreter mit Charme und einem Blitzen in den Augen, das mehr über die lebenslange Männerfreundschaft verrät, als beide je öffentlich zugaben.

„Offensichtlich gibt es hier eine Liebesgeschichte“, sagte Eastwood der „New York Times“. „Ob es eine schwule Love Story oder etwas anderes ist - nun, das können die Zuschauer für sich entscheiden.“ Doch Drehbuchautor Dustin Lance Black lässt eigentlich keinen Zweifel an der Männerliebe. Mit seinem Skript für „Milk“ über den schwulen US-Politiker Harvey Milk hatte er 2009 den Oscar für das beste Originaldrehbuch gewonnen.

Eine Oscar-Nominierung ist DiCaprio so gut wie sicher. Es wäre seine vierte Chance, gewonnen hat er bis jetzt noch keinen. Als Hoover altert er mehr als 50 Jahre, ein guter Maskenbildner half dabei. Was bei DiCaprio glaubwürdig aussieht, geht bei Hammer allerdings daneben. Als alter Tolson sieht er aus wie eine Greisenmaske für Halloween.

Doch sonst stimmt alles bei Eastwoods 32. Spielfilmregie. Von den in Sepia gehaltenen Farben bis zur Musik, die der vielseitig begabte Filmemacher, Schauspieler und früherer Action-Held selbst komponierte. Er stempelt den machthungrigen FBI-Chef nicht zum Bösewicht ab, sondern bemüht sich um ein menschliches Porträt.

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