Bal: Stille Reise in die Kindheit

Epos: „Bal“, der Gewinnerfilm der „Berlinale“, vergisst bei aller Poesie nicht die Politik.

Semih Kaplanoglus "Bal - Honig" ist ein Film mit subtiler Botschaft. Der türkische Gewinner des Goldenen Bären 2010 mischt fast unmerklich ein politisches Anliegen in sein poetisches Werk. Nach "Ei" und "Milch" ist "Honig" der beeindruckende Abschluss einer autobiografisch geprägten Trilogie über den Dichter Yusuf als Kind, jungen Mann und älteren Herrn - und zugleich eine Hommage an Menschen, die von und mit der Natur leben.

"Honig" gleicht einer lyrischen Reise durch die Seele eines Kindes. Erzählt wird von der bittersüßen Kindheit des Jungen Yusuf in einer bezwingend schönen Waldlandschaft an der Schwarzmeerküste im Nordosten der Türkei nahe Trabzon, wo Yusufs Familie von der Imkerei lebt. Eine gefährliche Arbeit: Die Bienenstöcke werden hoch oben in den Bäumen angebracht.

Neben Yusuf, gespielt von dem zur Drehzeit siebenjährigen Bora Altas, wird die Natur zu einer weiteren Hauptdarstellerin. Kaplanoglu hat bewusst auf Musik verzichtet. Das Rauschen der Bäume, Vogelgezwitscher, Bienensummen und das Kratzen der Stifte der Schulkinder sind der "Soundtrack". Genau diese ruhigen, vom Atmen der Natur durchdrungenen Bilder sind es, die noch lange im Gedächtnis bleiben.

Yusuf wächst von den Eltern behütet auf, doch in der Schule hat es der stotternde Junge schwer. Er zieht sich immer mehr zurück und lebt in einer ganz eigenen Welt.

Das sind magische Momente: Der Zuschauer erlebt mit Yusuf eine Welt voller kleiner, in unserer schnelllebigen Zeit nicht mehr beachteter Alltagswunder - eine zerbrechliche Welt. Als ein unerklärliches Bienensterben die Gegend heimsucht, bringt Vater Yakub seine Bienenkörbe in eine schwer zugängliche Gebirgsregion. Als er nicht zurückkehrt, zieht der kleine Yusuf los, um ihn zu suchen.

"Wir haben am nordöstlichen Schwarzmeer gedreht. Das ist eine Gegend, in der sich direkt hinter dem Ufer stark bewaldete Berge erheben", sagt der Regisseur. "Während der Dreharbeiten im Wald war nur zehn Meter von uns entfernt ein Bär, der Honig aus den Bienenstöcken holen wollte." Doch die einzigartige Flora und Fauna des dünn besiedelten Landstrichs ist durch den Bau mehrerer Wasserkraftwerke bedroht.

"Ich blicke mit meinem Wissen des Erwachsenen durch die Augen eines Kindes, das Momente erlebt, die unwiederbringlich sind", sagte Kaplanoglu. "Mich interessiert die Seele des Menschen, sein Geist. Ich frage, was damit passiert in unserer Gegenwart. Nehmen wir als Beispiel die Industrialisierung: Sie schenkt uns viel, und sie nimmt uns auch viel. Wie verändert das unser Leben? Es ist selbstverständlich auch eine politische Frage."

>>Wertung: Vier von fünf möglichen Punkten.

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