Facebook will zentraler Knoten im Netz werden

San Francisco/Berlin (dpa) - Wenn amerikanische Technik-Riesen Neuigkeiten präsentieren, üben sie sich selten in Bescheidenheit. Facebook machte da keine Ausnahme. Das Online-Netzwerk versprach, dass Nutzer künftig „die Geschichte ihres Lebens“ auf der Plattform darstellen und speichern können.

Facebook will sich tief im Leben seiner Anwender verankern, zu einer Zentrale im Internet werden - und so die euphorischen Erwartungen der Investoren erfüllen, die Hunderte von Millionen Dollar in die Plattform gesteckt haben.

„Facebook ist und bleibt kostenlos“, betont das Unternehmen immer wieder. Die Anwender zahlen letztlich mit ihren Daten und ihrer Aufmerksamkeit. Geld verdient das Unternehmen nämlich bislang vor allem mit Werbung: Während die Nutzer Statusmeldungen schreiben, Fotos ansehen und die Profile ihrer Freunde durchstöbern, Online-Games wie Farmville spielen oder sich durch Umfragen klicken, kann das Unternehmen seine Werbeplätze füllen - das ist die Basis des Geschäftsmodells. Und es funktioniert. Das zeigen aktuelle Zahlen: Im ersten Halbjahr habe sich der Umsatz auf 1,6 Milliarden Dollar verdoppelt, schrieb das „Wall Street Journal“ kürzlich. Facebook kommentierte den Bericht nicht.

Die jetzt vorgestellten Änderungen sollen dafür sorgen, dass die Nutzer gar nicht mehr nach dem gut versteckten Abmelde-Knopf suchen, um sich bei Facebook auszuloggen. Zu den Neuerungen gehört die Timeline. Das ist ein Zeitbalken im Nutzerprofil, mit dem die Anwender die wichtigsten Stationen aus ihrem Leben darstellen können. Schnappschüsse aus der Kindheit und das offizielle Hochzeitsvideo können ebenso auftauchen wie Lieblingsrezepte oder absolvierte Joggingstrecken. All das fügt sich zu einem hübschen Online-Magazin zusammen.

„Wenn die Nutzer tatsächlich ein Lebensarchiv anlegen, werden sie viel stärker an die Plattform gebunden“, sagt Prof. Armin Rott von der Hamburg Media School. „Lock-in“ nennen das Ökonomen - man ist eingesperrt - zumal man die Daten in Facebook nur schwer auf andere Plattformen übertragen kann. So sieht auch der amerikanische Journalismus-Dozent und Blogger Jeff Jarvis eine höhere Hürde, Facebook zu verlassen: „Du verlierst dein Leben.“

Doch es geht nicht nur um die Vergangenheit. Facebook will seine Besucher dazu animieren, noch mehr aus ihrem Alltag zu plaudern - in Echtzeit. Was wäre da besser geeignet als Musik, Filme und Spiele? Dutzende Medienunternehmen docken sich an das Online-Netzwerk an, darunter viele bekannte Namen wie Spotify, Netflix, „Wall Street Journal“ und die „Washington Post“. Sie sollen das Gespräch der Facebook-User in Gang bringen.

Ein Beispiel: Wer über den (in Deutschland noch nicht verfügbaren) Musikdienst Spotify einen Song hört, kann das von der Spotify-App seinen Freunden über einen neuen Ticker auf der Facebook-Seite mitteilen lassen. Wenn jemand die Musik gut findet, gesellt er sich mit wenigen Klicks dazu und kauft das Stück vielleicht selber. Dieses Prinzip will Facebook auf andere Lebensbereiche übertragen: Bücher, Kochen, Sport, Mode. So wird Facebook zu einer riesigen Leitzentrale für Medieninhalte im Netz.

Auch das eröffnet neue Wege, mit den 750 Millionen Nutzern Geld zu verdienen. Zum einen über Werbung: Je besser das Unternehmen den einzelnen kennt, desto teurer kann es den Kontakt an die Werbewirtschaft verkaufen. Wer also kundtut, welche Musik er mag, könnte die passenden CDs angepriesen bekommen. „Die Effekte werden aber oft überschätzt“, sagt Medienökonom Rott.

Zum anderen könnte Facebook an seinen Kooperationspartnern verdienen: „Provisionsmodelle sind oft sehr ergiebig“, sagt Rott. Die Idee: Wenn Nutzer über Facebook einen kostenpflichtigen Musikdienst entdecken und sich dort anmelden, fließt Geld an das Online-Netzwerk.

Profil plus Lebensarchiv plus Aktivitätsticker: Sollten die Neuerungen so angenommen werden, wie Facebook sich das vorstellt, entsteht eine Datensammlung ungekannten Ausmaßes. Das Unternehmen darf sich daher auf eine neue Datenschutz-Debatte einstellen. Etliche Nutzer kündigten bereits an, ihr Profil zu löschen, weil ihnen die neuen Features von Facebook unheimlich sind. Der große Exodus dürfte aber ausbleiben. „Ich nehme an, Facebook kann es sich jetzt leisten, dass ein paar Nutzer gehen, zumal neue dazukommen, die diese Funktion haben wollen“, vermutet die Facebook-Expertin Annette Schwindt.

Wie scharf die Debatte geführt wird, hängt auch davon ab, wie viel Kontrolle die Nutzer über ihre Daten haben. „Facebook hat mittlerweile gelernt, dass sie in diesem Bereich vorsichtig sein müssen“, sagt der Gartner-Analyst Michael Gartenberg. Entscheidend sei die Frage, ob das Unternehmen die Informationen standardmäßig veröffentliche oder die Nutzer erst zustimmen müssten.

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