Jenseits von Gorleben: Endlager Morsleben

Morsleben (dpa) - Während der Castor-Widerstand zeigt, dass Gorleben als Endlager kaum machbar ist und aus der Asse der Atommüll wieder raus soll, werden in Morsleben Fakten geschaffen. Es ist das einzige Lager bisher, wo der Atommüll nun definitiv für immer weggeschlossen werden soll.

Der Werkleiter des Atommüllendlagers in Morsleben ist langes Warten gewohnt. Bevor Frank-Holger Koch in die Anlage für schwach- und mittelradioaktive Abfälle im Norden von Sachsen-Anhalt kam, arbeitete er mehr als zehn Jahre im Salzstock in Gorleben. Dort sollte er erkunden, ob der Standort als Endlager für hochradioaktive Abfälle geeignet ist. Diese Frage ist bis heute nicht geklärt. Im Gegenteil. Die Suche nach einem solchen Endlager wird nach Schätzungen von Experten noch bis 2035 oder 2040 dauern. Und Castor-Gegner fordern, dass Gorleben beim Neustart in der Endlagersuche nicht mehr dabei sein darf.

Mit dieser Endlagerfrage hat Frank-Holger Koch durch seinen Wechsel nach Morsleben jetzt zwar nichts mehr zu tun. Auf eine Entscheidung warten muss er dort aber auch. Anders als in Gorleben geht es in Morsleben nicht um die Frage, ob der Atommüll unter die Erde darf. Da liegt er nämlich schon längst: Insgesamt rund 37 000 Kubikmeter sind es, die seit 1971 aus Forschungseinrichtungen und Atomkraftwerken in den Salzstollen geschafft wurden. Rund 40 Prozent aus der DDR, der Rest nach der Wende von der deutschen Atomindustrie. In Morsleben geht es um die Frage, ob der Müll unter der Erde bleibt.

Das will der Betreiber, das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Es plant, den Stollen für immer dichtzumachen. Der Grund: Das alte Bergwerk droht einzustürzen. Aus diesem Grund hatte das BfS die Einlagerung bereits 2001 endgültig gestoppt. 27 Kammern, in denen kein Atommüll liegt, sind bereits mit Salzbeton verfüllt. Nach Ansicht der Behörde ist es jedoch am sichersten, den kompletten Salzstock mit samt seiner gefährlichen Altlast voll Beton zu pumpen.

Das BfS spricht von einem „weltweit einmaligen Vorgang“ und ist sich sicher, dass für die Methode ein Langzeitsicherheitsnachweis erbracht ist. Das heißt: für den unvorstellbaren Zeitraum von einer Million Jahre darf keine Radioaktivität austreten, die für Mensch oder Tier gefährlich ist. Umweltschützer bezweifeln das. Bis 2014 will das Umweltministerium von Sachsen-Anhalt darüber entscheiden. Unten im Schacht müssen sie also noch ein bisschen länger für Sicherheit sorgen. Strahlenwerte messen, Wasserzuflüsse prüfen, die Bewegungen im Gestein. 90 Mitarbeiter sind unter Tage unterwegs.

Einer von ihnen ist Ortwin Görke. Der Fachmann für Strahlenschutz braust mit einem gelben Geländewagen 500 Meter unter der Erde durch die dunklen Tunnel des weit verzweigten Salzstocks. Görke kennt das Endlager wie seine Westentasche. Er ist von Anfang an dabei. 1971 begann er hier einen Ausbildung zum Elektroniker. „Ich habe sehr euphorisch angefangen damals“, erzählt der 57-Jährige. „Kernkraft war die Energie der Zukunft.“ Eine Ausbildung in dem Atommüllendlager im Norden von Sachsen-Anhalt versprach also einen Job mit Perspektive.

Für Görke hat sich das bestätigt. Er ist immer noch hier. Wer ihn begleitet und nicht wüsste, dass man durch ein Atommüllendlager fährt, könnte meinen, man befindet sich in einem ganz gewöhnlichen Bergwerk. Überall nur graues, nacktes Gestein. Manchmal schimmert es magisch, wenn das Licht der Scheinwerfer auf Salzkristalle fällt. Behälter mit gefährlichem Atommüll dagegen sieht man nicht.

Da sind sie trotzdem. Der meiste Müll in Morsleben liegt in Fässern, die gestapelt in Hohlräumen stehen - oder einfach in ein großes Loch gekippt wurden. Vor ein paar Jahren konnten Besucher einen Festsaal großen Bereich mit dem Abfall besichtigen. Jetzt ist alles hinter Mauern verbarrikadiert oder mit Salz überdeckt.

Wie im Zentralteil des alten Bergwerks. Hier stoppt Görke seinen Wagen in der Nähe eines Absperrbandes. Dahinter lagert in 10 bis 15 Meter tiefen Löchern Müll, der besonders umstritten ist: lebensgefährliches Kobalt-60 und Cäsium-137, das zu Nieren- und Muskelschäden führen kann. Im Gegensatz zu den meisten anderen Abfällen, fehlt für sie die Genehmigung für die Endlagerung.

„Sie sind bisher nur zwischengelagert, deshalb müssen wir jedes Vierteljahr nachweisen, dass wir sie wieder herausholen können“, erklärt Koch. Bis es damit vorbei ist, muss er sich wohl noch drei Jahre gedulden. Doch auch, wenn das Umweltministerium den Plänen des BfS zustimmt, ist es in Morsleben noch lange nicht vorbei. Die Verfüllung des Bergwerks würde bis zu 15 Jahre dauern. Frank-Holger Koch und Ortwin Görke werden dann wohl schon im Ruhestand sein.

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