Ein Mann, der aneckt: Helmut Digel wird 70

Düsseldorf (dpa) - Helmut Digel ist immer ein Mann gewesen, der im deutschen Sport angeeckt ist. „Man war oft dankbar, wenn ich manchen Gremien nicht angehört habe“, sagte der Vor- und Querdenker aus Tübingen, der am 6. Januar 70 Jahre alt wird.

Ein Mann, der aneckt: Helmut Digel wird 70
Foto: dpa

Mit seiner Kritik und seinem Sachverstand hat sich der Sportsoziologe und -funktionär viel Anerkennung erworben, aber mindestens genauso viel Ärger und Ablehnung geerntet. „Grundsätzlich fehlt der Mut zur Kontroverse im deutschen Sport“, meinte Digel. Dabei gibt es für den ehemaligen Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und früheren Direktor des Instituts für Sportwissenschaften in Tübingen genug Diskussions- und Reformbedarf.

So kritisierte er die gigantischen Ausgaben von rund 40 Milliarden Euro für die Olympischen Winterspiele im Februar in Sotschi („Kein olympisches Aushängeschild, sondern ein Mahnmal“) ebenso wie die überkommenen Strukturen im deutschen Spitzensport. Themen, mit denen er sich in vielen seiner 300 wissenschaftlichen Arbeiten, rund 1000 Interviews und 25 Büchern auseinandergesetzt hat.

„Wir müssen lernen, dass wir im Hochleistungssport einen Reformbedarf haben. Die jetzige Struktur ist international nicht mehr konkurrenzfähig und effizient“, kritisierte Digel. „Es muss alles auf den Prüfstand gestellt werden.“ Da sei der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) gefordert.

Mehr Fördergelder vom Bund - der DOSB hatte jüngst einen Mehrbedarf von 38 Millionen Euro ermittelt - sind für ihn allein keine Lösung. „Es existiert ein Finanzierungsbedarf, aber er sollte nicht im Zentrum stehen“, sagte Digel. Vielmehr hält er die föderale Struktur in den Bundesländern, lange Entscheidungswege oder die Bürokratisierung im Leistungssport für hinderlich und kontraproduktiv. Ohne Reformen werde es äußerst schwer, dass Deutschland bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro „die Position in der Weltspitze halten kann“, prophezeit Digel.

Dem neuen DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann traut er zu, einiges bewegen und ändern zu können. „Ich glaube, dass er ein Präsident mit Integrationswirkung sein wird“, urteilte der frühere Handballspieler. „Er hat eine ruhige Art zu führen, kennt die Denkprozesse im deutschen Sport und ist in der Lage, gute Lösungen zu finden.“

Digel selbst, der als Funktionär und Wissenschaftler zugleich Akteur und Beobachter war, gehört seit 1995 dem Council des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF an. Eine erneute Kandidatur nach Ende der aktuellen Amtszeit bis 2015 strebt er nicht mit Vehemenz an, ein neues hohes Sportamt in Deutschland dürfte ihm kaum angeboten werden. Schließlich blieb ihm bereits 2002 der Sprung an die Spitze der deutschen Funktionärs-Hierarchie verwehrt, als er Walther Tröger als Präsident des damaligen Nationalen Olympischen Komitees (NOK) ablösen wollte.

„Ich bin einen Weg gegangen, der ein Bumerang war“, erkannte Digel damals. Heute blickt er nach einem rund 40-jährigen Engagement im Sport zurück. „Bei uns wird viel hinter vorgehaltener Hand geredet, aber offen um Mehrheiten zu kämpfen, das ist ein hartes Geschäft“, resümierte er und fügte selbstkritisch hinzu: „Und wenn man so exponiert war wie ich, ist man auch eitel und macht manche Fehler.“

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