Interview mit SPD-Politiker Thomas Kutschaty: „Laschet tritt 2022 nicht mehr an“

Düsseldorf · Thomas Kutschaty ist SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag. Er spricht im Interview über die Coronavirus-Krise, die neue SPD-Spitze und Parallelen mit der FDP.

 Thomas Kutschaty, nordrhein-westfälischer SPD-Fraktionsvorsitzender.

Thomas Kutschaty, nordrhein-westfälischer SPD-Fraktionsvorsitzender.

Foto: dpa/Johannes Neudecker

Herr Kutschaty, ist NRW in Sachen Coronavirus-Abwehr gut aufgestellt?

Thomas Kutschaty: Das Eigenlob der Landesregierung hat mich erstaunt. Es wirkt unkoordiniert, die einfachsten Ausstattungsstandards fehlen. Wo ist der Krisenstab? Herr Laumann sollte auch seinen Krankenhausplan überdenken. Dieser Fall zeigt deutlich, dass wir Krankenhausplanung nicht am statistischen Durchschnittswert der Belegung machen können. Es ist ja auch illusorisch, im Moment zu glauben, dass der Ministerpräsident etwas steuert.

Ist es das?

Kutschaty: Der ist hier ja nur noch in Teilzeit beschäftigt.

Armin Laschet scheint entschlossen, Ministerpräsident zu bleiben – selbst wenn er CDU-Bundesvorsitzender oder auch Kanzlerkandidat würde.

Kutschaty: Das ging vielleicht vor 30 Jahren mal. Heute ist die Zeit viel schnelllebiger, es braucht mehr Präsenz. Als Sozialdemokrat kann ich Ihnen ja von schwierigen Phasen in Parteien erzählen: Jetzt die CDU zu führen, dafür braucht es die ganze Person. Das erwartet die SPD auch in der großen Koalition. Und NRW kann man nicht nebenbei regieren. Frau Kramp-Karrenbauer war Ministerpräsidentin des Saarlandes und hat das für das Amt der CDU-Generalsekretärin aufgegeben. Und Laschet bleibt? Wenn er am 25. April CDU-Vorsitzender wird, sollte er das Amt des Ministerpräsidenten aufgeben.

Wird die Regierungsarbeit nicht vor allem in den Ministerien geleistet?

Kutschaty: Wenn die funktionieren würden. Herr Laschet ist übrigens auch Medienminister. In 38 Ausschusssitzungen war er ein einziges Mal dabei. Ich bin überzeugt, dass Herr Laschet zur Landtagswahl 2022 so oder so nicht mehr antreten wird.

Für Sie ist diese CDU-Entwicklung doch ein Geschenk, oder?

Kutschaty: Das kann man auch anders sehen. Mit Friedrich Merz gäbe es eine große Polarisierung auf Bundesebene. Herr Laschet steht ja für den Merkel-Kurs, und in dieser Konstellation sind wir ja in der Bundesregierung nicht ganz so gut gefahren.

Ein Geschenk scheinen die neuen Bundesvorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken für die SPD nicht unbedingt zu sein.

Kutschaty: Ich finde, sie machen es gut. Wir haben keine parteiinternen Streitdiskussionen mehr, sie sind akzeptiert und respektiert. Und wenn sich das stabilisiert, können wir auch in Umfragen wieder steigen oder mal Wahlen gewinnen, wie das in Hamburg zu sehen war.

Ist die SPD nicht in Wahrheit gespalten und die eine Seite um den potenziellen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz auf einem ganz anderen Kurs als die andere?

Kutschaty: Das sehe ich nicht. Das ist eine gute Ergänzung. Wenn ich nur mal allein das Thema Altschuldenfonds sehe, von dem wir in NRW besonders profitieren würden. Das ist eine alte steuerpolitische Forderung von Walter-Borjans, die Scholz jetzt umsetzt und den überschuldeten Kommunen aus der Schuldenfalle hilft. Die haben zu einem Team gefunden. Das hätte Scholz vor einem Jahr noch nicht gemacht.

Aber von der Umsetzung ist man meilenweit entfernt.

Kutschaty: Scholz hat gesagt, 50 Prozent der kommunalen Kassenkredite, also 25 Milliarden Euro, würde der Bund als Schuldner übernehmen. Mit zwei Voraussetzungen: Es profitieren nur Kommunen in NRW, Saarland, Hessen und Rheinland-Pfalz, und die anderen dürfen jetzt nicht auch schreien. Zweitens: Die anderen 50 Prozent müssen die vier betroffenen Länder mit den Kommunen stemmen. Wir Sozialdemokraten sind in allen Landtagsfraktionen dazu einig, die CDU ist das nicht. Da erwarte ich auch mehr von Laschet. Aber er will ja auch noch von den anderen Ländern zum CDU-Vorsitzenden gewählt werden.

Vielleicht zögert auch ein SPD-Finanzminister die Umsetzung heraus, weil man dieses Geschenk vor allem ans Ruhrgebiet nicht der CDU/FDP-Regierung in NRW überlassen möchte?

Kutschaty: Andersherum: Wohl eher deshalb zögert die hiesige Landesregierung, weil sie vor den Kommunalwahlen den vielen SPD-regierten Städten keine Entschuldung gönnt. Jetzt ist das Fenster offen: Die Zinslage ist günstig, Scholz ist da, die große Koalition bietet die Mehrheiten. Wir sollten den Sack zumachen. Die Landesregierung ist da ein Totalausfall. Wie auch im Schul- und Bildungsbereich in den benachteiligten Regionen: Wir müssen endlich den Mut haben, Ungleiches ungleich zu behandeln. Kleinere Klassen, eine Sozialarbeiterin dazu. Frau Gebauer schafft als Bildungsministerin stattdessen 60 Talentschulen, wir haben in NRW 6000 Schulen. Was sage ich den Kindern in den 99 Prozent anderen Schulen? NRW bräuchte 1000 Talentschulen, wenn man alle schwierigen Standorte bedenken will.

Eine Frage der Priorität.

Kutschaty: Wir können es uns nicht leisten, Kinder zurückzulassen. Ein junges Mädchen, das heute geboren wird, wird 100 Jahre alt. Wir entscheiden in den ersten zehn Jahren, ob sie später einen Job hat, von dem sie leben kann, oder ob wir sie 100 Jahre lang durch alimentieren müssen. Von ALG 1 über Hartz IV  bis zur Grundsicherung im Alter. Wenn ich es der FDP erklären will: Das rechnet sich selbst volkswirtschaftlich nicht.

Warum wollen Sie nicht auch Landesvorsitzender der SPD werden?

Kutschaty: Ich habe erklärt, dass ich jetzt im Mai beim Parteitag gegen Sebastian Hartmann nicht kandidiere. Wir haben zu einer guten Arbeitsweise zusammengefunden. Und Doppelspitzen sind ja gerade angesagt in der SPD (lacht). Wer 2022 Kandidat wird, klären wir in einigen Monaten, nach der Kommunalwahl.

Wo lägen die Möglichkeiten der Mehrheiten für die SPD in NRW?

Kutschaty: Mal zur Einordnung: Schwarz-Gelb reicht seit der Landtagswahl in keiner Umfrage mehr. Für uns gilt: Wir müssen offen bleiben. Es gibt ein klares Nein zur AfD. Alle anderen kommen infrage.

Rot-Rot-Grün ist eine realistische Machtoption?

Kutschaty: Das kommt sehr darauf an, wie sich die Linken in NRW entwickeln. Mit Bodo Ramelow könnte ich hier auch zusammenarbeiten. Aber für uns ist auch die FDP eine Eventualität. Wenn ich mich mit denen hier im Landtag unterhalte, sehe ich viele Schnittmengen.

Was lernen Sie aus der Hamburg-Wahl?

Kutschaty: Dass man Geschlossenheit in der Partei braucht und pragmatische Politik machen muss. Manchmal verlieben wir uns zu sehr ins Detail. Wir haben ein Sozialstaatskonzept auf dem Parteitag beschlossen, dass wir hier mal angestoßen haben. Jetzt liegt es in der Schublade. Das hilft nicht. Wir müssen raus damit!

Wo sind die drängendsten Baustellen in NRW?

Kutschaty: Der Bildungsbereich. Das einzige, was neu ist, sind Statistiken, mit denen wir sehen, dass nichts besser wird. Es fehlen Tausende von Lehrern, besonders im Grundschulbereich. Auch weil wir uns immer noch erlauben, Grundschullehrer schlechter zu bezahlen als jene am Gymnasium. Familien brauchen notwendige Entlastung mit der Abschaffung der Kita-Gebühren. In Düsseldorf zahle ich nichts, in Duisburg einige hundert Euro, bei gleicher Einkommensstufe. Wir müssen mal Politik für die Vielen und nicht für die Wenigen machen. Auch beim Infrastruktur-Ausbau: Der Umstieg auf Elektro ist ein Schritt, aber keine Lösung. Verkehrsminister Wüst ist zu zögerlich: Der rühmt sich mit Brückensanierungen und Autobahn-Ausbau, aber wir brauchen den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Wir fordern das 365-Euro-Ticket und brauchen einen vernünftigen Netzausbau mit schnellerer Taktung. Und wir müssen dringend etwas gegen die Wohnungsnot machen. Die Politik der Landesregierung verschärft die Lage, die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen ist um 34 Prozent zurückgegangen. Das muss sich rasch ändern, auch durch eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft.

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