NRW-Ministerpräsident im Interview Armin Laschet: „Deutschland muss gerade heute wieder größer denken“

Düsseldorf · Kohleausstieg, Klimaziele, Altschulden - in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit liegen große Brocken vor NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Der CDU-Bundesvize macht Druck auf Berlin. Und er fordert Impulse aus Berlin für die EU.

  Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, während des Interviews.

Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, während des Interviews.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) fordert von der Bundesregierung, das Kohleausstiegsgesetz nicht länger zu verzögern. Anfang des Jahres müsse es endlich beschlossen werden. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur bekennt sich Laschet auch zur Altschuldenhilfe für besonders notleidende Kommunen. Er erklärt auch, warum er so gern mit der FDP regiert und dass die Grünen zum Hauptkonkurrenten bei der nächsten Bundestagswahl würden. Außerdem wünscht sich der CDU-Bundesvize wieder eine stärkere Rolle Deutschlands in der EU.

Das Kohleausstiegsgesetz ist dieses Jahr trotz Ihres Drängens nicht mehr ins Bundeskabinett gekommen. Was bedeutet das für NRW?

Laschet: Das ist kein guter Zustand. Jetzt ist es von Finanzminister Scholz für Januar angekündigt, und dann muss es auch wirklich kommen, denn es hat große Bedeutung für die Menschen in den Regionen, die einfach Klarheit wollen und brauchen. Und es hat große Bedeutung für die Menschen, deren Lebensplanung davon abhängt, wie lange sie noch in der Braunkohle arbeiten können. Der notwendige Strukturwandel in der Region ist gekoppelt an das Inkrafttreten des Kohleausstiegsgesetzes. Es kann auch in den Kommunen nichts vorangehen, wenn nicht bald diese Entscheidung als Grundlage fällt. Insofern ist das mein Neujahrswunsch an die Bundesregierung.

Die Landesregierung muss eine neue Leitentscheidung zum Braunkohle-Abbau im Rheinischen Revier vorlegen. Können neben dem Hambacher Forst auch die von Umsiedlung betroffenen Garzweiler-Dörfer erhalten werden?

Laschet: Das ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Der Druck auf den Tagebau Garzweiler wird natürlich wegen der erforderlichen Restmengen erhöht durch die Verkleinerung des Hambacher Tagebaus. Viele Dörfer sind mitten in der Umsiedlung. Viele Menschen sind schon umgezogen. Viele sagen: „Wir haben uns geschworen, wir gehen alle zusammen. Wenn man das wieder ändern würde, zerreißt das die Dorfgemeinschaft.“ Andere klagen und wollen ihr Dorf nicht verlassen. Beide Haltungen kann man verstehen. Das alles wird man abwägen müssen.

Wieso dulden Sie im Hambacher Forst weiterhin Baumbesetzer nach der großen Räumungsaktion im Herbst 2018?

Laschet: Auch das ist eine Abwägung. Das Besetzen ist weiterhin ein Rechtsbruch. In der Endphase der Verhandlungen muss man das Ermessen so wägen, dass es der Befriedung der gesamten Region dient. Ich erwarte allerdings ab dem Zeitpunkt, an dem der Hambacher Forst gerettet ist, dass die Besetzer die illegalen Baumhäuser unverzüglich verlassen.

Der Bund will künftig einen Abstand zwischen neuen Windrädern und Wohnsiedlungen von mindestens 1000 Meter - in NRW gelten sogar 1500 Meter. Die Windenergiebranche fühlt sich „abgewürgt“ und beklagt Job-Verluste. Wie geht es weiter mit der Windkraft in NRW?

Laschet: Die Windkraft wird weiter ausgebaut. Jedem ist klar: Wir brauchen Regelungen, die auf mehr Akzeptanz auf allen Seiten stoßen. Bundesweit haben wir rund 325 anhängige Klage-Verfahren gegen Windanlagen, davon sind fast 200 von Naturschutzverbänden. Also sind es nicht nur Vorbehalte von Menschen, die den Klimawandel nicht ernst nehmen oder von Nachbarn, die sich belastet fühlen, sondern es sind auch Naturschutzbelange, die durch Windenergie beeinträchtigt werden. Und deshalb muss man das alles zu einem Konsens führen.

Das klingt nicht nach einem Kurswechsel in NRW, oder?

Laschet: Nordrhein-Westfalen hat andere Gegebenheiten als etwa Schleswig-Holstein. Wir sind ein dicht besiedeltes Land. Wir haben sehr viele große Städte, in denen häufig kein einziges Windrad steht. Wir wollen mehr Erneuerbare, aber Nordrhein-Westfalen wird nie das Wind-Land Nummer Eins in Deutschland werden können. Wir wollen Vorreiter sein beim Klimaschutz – mit einer breit angelegten Energieversorgungsstrategie. Es ist wichtig, dass wir auch Photovoltaik schneller ausbauen und andere Formen der regenerativen Energien hinzuziehen.

Die Altschulden-Problematik drückt viele Kommunen in NRW. Bis wann müsste es eine Lösung geben? Ist das noch eine Aufgabe für die große Koalition?

Laschet: Das Problem verschärft sich, wenn die Zinsen wieder ansteigen. Dann wird die Luft der Kommunen wirklich knapp. Die große Koalition sollte das Thema jetzt zeitnah angehen. Das ist eine der großen Aufgaben, die die GroKo lösen kann.

Sollen sich auch Länder an einer Altschulden-Hilfe beteiligen, die keine mit Kassenkrediten überschuldeten Kommunen haben?

Laschet: Nein. Die Sorge, dass andere Länder dafür zahlen müssen, haben wir bei der Ministerpräsidentenkonferenz ausgeräumt. Der Bund hat eine Lösung der Altschuldenproblematik angekündigt, und wir werden dabei substanziell helfen und unseren Beitrag leisten. Die zwölf anderen Länder sagen: „Unsere Kommunen haben auch unter Kostendruck gelitten, manche wollten sich auch über Kassenkredite verschulden, aber unsere Kommunalaufsicht hat das immer untersagt und individuelle Lösungen gefunden.“ Das ist in Nordrhein-Westfalen nicht passiert. Der Zustand, wie wir ihn heute haben, ist auch ein Aufsichtsversagen über 30 Jahre.

Sollte es denn Leistungskomponenten geben, dass Kommunen, die sparsamer gewirtschaftet haben, mehr profitieren?

Laschet: Das Altschulden-Problem liegt auf dem Tisch und die überschuldeten Kommunen werden es nie mehr schaffen, wenn es keine Hilfe gibt. Wir brauchen eine praktikable Lösung. Und deshalb wird die Hilfe nicht nach Schuldfrage verteilt. Damit bekommen wir nie eine Lösung. Man muss einen Schnitt machen und das muss eine einmalige Aktion sein, die den Kommunen wieder Luft zum Atmen schafft. Wir brauchen Mechanismen, die sicherstellen, dass das in der Zukunft so nicht mehr passiert. Die Städte müssen sich dazu verpflichten und das Land als Kommunalaufsicht auch.

Sie galten ja als Politiker mit Sympathien auch für Schwarz-Grün. Stehen Sie den heutigen Grünen noch so nah?

Laschet: Ich habe immer schon viele, auch persönlich freundschaftliche Kontakte zu Kollegen der Grünen gehabt. Dass man besser, sachgerechter und effektiver mit der FDP regieren kann, spüre ich jeden Tag. Wenn es möglich ist, eine Koalition mit den Liberalen zu bilden, ist das immer meine Wunsch-Koalition. Mit einem anderen Koalitionspartner hätte man bei jedem einzelnen Thema Grundsatzdiskussionen. Wir hätten nie so viel in zweieinhalb Jahren bei Innerer Sicherheit, Bildung oder Wirtschaft bewegen können.

Sind die Grünen heute ideologischer?

Laschet: Es gibt in ihren programmatischen Beschlüssen immer noch viel linke Ideologie. Geändert hat sich der Auftritt der Führung. Diese „Habeckisierung“ der Politik ist eher ein Wellness- und Wohlfühlfaktor. Das ist auch in Ordnung. Aber in den inhaltlichen Beschlüssen gibt es vieles, wo wir weit auseinanderliegen. Im Landtag merkt man es in jeder Plenarwoche.

Wäre Schwarz-Grün theoretisch denkbar?

Laschet: Wir haben ja schwarz-grüne Koalitionen, die funktionieren, in Baden-Württemberg und in Hessen. Bei der nächsten Bundestagswahl sind die Grünen allerdings für die Union der Hauptwettbewerber. Es gibt große Unterschiede, etwa in der Inneren Sicherheit, in der Außen- und Wirtschaftspolitik - und das müssen die Wähler auch erkennen können. Kompromiss zum Klimapaket hat man aber auch gesehen, dass sie bei dieser wichtigen Frage auch staatspolitisch verantwortlich gehandelt haben.

Boris Johnson ist klarer Wahlsieger in Großbritannien und ein geregelter Brexit Ende Januar wird damit wahrscheinlich. Wie groß wird der Schaden für NRW sein?

Laschet: Es ist klar, dass es für die Unternehmen unseres Landes, das so enge Handelsbeziehungen und offene Grenzen nach Großbritannien hat, Konsequenzen haben wird. Mein Eindruck ist, dass wir diese heute mit einem geregelten Brexit besser abfangen können als noch vor ein oder zwei Jahren, weil wir uns ebenso wie die Unternehmen darauf eingestellt haben. Inzwischen sind sich aber auch zahlreiche Arbeitsplätze aus dem Vereinten Königreich nach Nordrhein-Westfalen verlagert worden. Um Unternehmen, die in der Europäischen Union bleiben und zu uns wollen, werben wir weiter. Bereits jetzt verzeichnet die Landesregierung 116 Ansiedlungen aus dem Vereinigten Königreich nach NRW.

In Brüssel wird eine zu passive Rolle der Bundesregierung in der EU beklagt. Was sagen Sie auch in Ihrer Funktion des deutsch-französischen Kulturbevollmächtigten dazu?

Laschet: Es gab schon Phasen, in denen Deutschland stärker engagiert europäische Initiativen gestartet hat. Die deutsche Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2020 bietet dazu eine neue Chance. Der Koalitionsvertrag hat den Titel „Ein neuer Aufbruch für Europa“. Das wird der Maßstab sein, ob auch wirklich wichtige Impulse aus Deutschland kommen. Ich würde mir auch wünschen, dass wir nicht immer nur diskutieren, wie wir dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron antworten, sondern auch selbst einmal Ideen aufstellen, auf die Macron antworten muss.

Die Franzosen denken ja gern groß...

Laschet: Es gab auch Zeiten, in denen Deutschland groß gedacht hat. Helmut Kohl hat groß gedacht. Die D-Mark abzuschaffen und eine gemeinsame europäische Währung einzuführen, war groß gedacht und konkret umgesetzt. Davon profitieren wir bis heute. Die Abschaffung der Grenzkontrollen durch das Schengen-Abkommen, der große Binnenmarkt - alles große Visionen, die heute Realität sind. Klassische Bestandteile nationalstaatlicher Kompetenz hat Helmut Kohl in einen größeren europäischen Rahmen gebracht. Deutschland muss gerade heute wieder größer denken.

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