Gesundheitspolitik Neuer Qualitätstest für Pflegeheime soll mehr Aussagekraft haben

Düsseldorf. · Die alte Benotung von Pflegeheimen war ohne Aussagekraft und wird abgeschafft. Die neue Beurteilung soll differenzierter sein. Das neue System haben Forscher aus Bielefeld entwickelt.

 Bei der neuen Qualitätsbeurteilung der Pflegeeinrichtungen soll es vor allem um das Befinden der Bewohner gehen.

Bei der neuen Qualitätsbeurteilung der Pflegeeinrichtungen soll es vor allem um das Befinden der Bewohner gehen.

Foto: dpa-tmn/Mascha Brichta

Die Abneigung gegen das bisherige Notensystem zur Qualitätsbeurteilung von Pflegeeinrichtungen hat NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann mit vielen Betroffenen, Angehörigen und Praktikern geteilt. „Ich habe es erlebt, dass ein Pflegeheim geschlossen werden musste, aber im Internet trotzdem eine Bewertung mit einer 1 vor dem Komma hatte.“ Die Pflegenoten – für Laumann eine „Irreführung“, die von der Selbstverwaltung der Pflegeeinrichtungen gewollt gewesen sei, „damit bei den Überprüfungen nichts herauskommt“.

Nun wird es nach einer langjährigen Vorlaufzeit ein bundesweit neues System der Qualitätsbeurteilung geben. Und es ist „made in NRW“: Maßgeblich mitentwickelt wurde es von Klaus Wingenfeld vom Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld. Beteiligt waren nach seiner Darstellung auch weit über hundert Einrichtungen in NRW, vor allem der Caritas Münster und Köln. Das Versprechen: mehr Effektivität, mehr Qualität, mehr Aussagekraft.

Einrichtungsbezogene Berichte zu besonderen Angeboten

Laut Wingenfeld soll der neue Pflege-Tüv auf drei Säulen ruhen: zum einen externe Qualitätsprüfungen wie bisher, allerdings mit geänderten Kriterien. Zum anderen werden die Einrichtungen selbst anhand neuer Indikatoren festhalten, wie es den Bewohnern geht und wie sie sich entwickeln. Plausibilitätsüberprüfungen sollen dabei Schönfärbereien verhindern. Zum Dritten kommen noch einrichtungsbezogene Berichte dazu, die besondere Angebote und Konzepte hervorheben.

Aus den gesammelten Angaben werden dann auf zehn Themenfeldern Durchschnittswerte gebildet. Für jede Einrichtung wird am Ende öffentlich gemacht, wie stark sie sich in den jeweiligen Themenfeldern über oder unter dem Durchschnitt befindet oder diesem ziemlich genau entspricht. Viele Informationen also, Kritiker glauben, zu viele.

Laumann glaubt das nicht – und ist an den Vergleichswerten nach eigener Aussage „brennend interessiert“. Denn nicht nur Einrichtungen können so verglichen werden, sondern auch Bundesländer. „Und NRW ist in der Pflege ein Hochlohnland.“ Nicht nur aufgrund der hohen Tarifbindung bei den Personalkosten, was Laumann verteidigt. Sondern nach seinen Angaben auch auf allen anderen Gebieten wie beispielsweise der Verpflegung. Die NRW-Einrichtungen lägen mit einem durchschnittlichen Eigenanteil von 2300 Euro pro Monat zusammen mit Baden-Württemberg bundesweit an der Spitze. Nun will der Minister wissen, ob das viele Geld auch zu höherer Qualität führt oder nicht.

Aber bis belastbare Werte vorliegen, wird es noch eine Zeit dauern. Ab November beginnen die Pflegeeinrichtungen mit der neuen Ergebniserfassung. Vorläufige Durchschnittswerte wurden schon aus Datenmaterial gebildet, das die Bielefelder Forscher über die vergangenen Jahre in mehr als 400 Einrichtungen gesammelt haben. Wingenfeld rechnet nicht vor Ende 2020 damit, dass die neuen Qualitätsberichte vorliegen.

Gemeinsam mit Minister Laumann befindet der Pflegeexperte sich derzeit auf Werbetour für das neue Bewertungssystem. Die 2190 vollstationären Einrichtungen in NRW sind eingeladen, eine der fünf Regionalveranstaltungen zu besuchen, die bis zum 20. Mai geplant sind. Die ersten 300 ließen sich am Freitag in der Ärztekammer Nordrhein in Düsseldorf informieren. Es folgen Bielefeld, Münster, Köln und Dortmund. Sowohl der Forscher als auch der Politiker raten den Pflegeheimen, sich in der Übergangsphase schon von den alten Noten zu verabschieden, um einen klaren Schnitt zu machen.

Hoffnung auf eine neue Fehlerkultur in der Pflege

Zumal Laumann sich von dem neuen System auch eine neue Fehlerkultur verspricht. „Es kann nur gut funktionieren, wenn die Öffentlichkeit und die Fachwelt lernen, mit Fehlern richtig umzugehen.“ Dazu gehöre auch, nicht jeden Fehler in der Pflege zu skandalisieren. Denn das führe nur dazu, dass sie vertuscht würden, anstatt daraus zu lernen.

Lernen müssen auch die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen, mit den wesentlich differenzierteren Informationen umzugehen. Wie hilfreich diese letztlich bei der Entscheidung für oder gegen eine Einrichtung sind, wird wesentlich von der Übersichtlichkeit der Darstellung abhängen. Derzeit werden allein in NRW rund 170 000 Menschen stationär gepflegt. Bundesweit sind es 830 000.

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