Keiner ist unentbehrlich Als auch Merkel der Instinkt verließ

Berlin · Angela Merkel hat fast nie der Instinkt verlassen. Selbstkontrolle zu jeder Zeit ist ihre hervorstechendste politische Qualität. Bis zur Langeweile. Kein schiefes öffentliches Wort, keine großen Sprüche – sie weiß wie Öffentlichkeit funktioniert, und sie ist uneitel.

Als auch Merkel der Instinkt verließ
Foto: dpa/Frank Augstein

Die wenigen Male, wo sie dieses Prinzip durchbrach – beim Internet-„Neuland“, beim „Wir schaffen das“, bei den Selfies mit Flüchtlingen – hingen ihr ewig nach.

Und immer hat sie gewusst, was wichtig ist für ihre Macht: Partei, Fraktion und Koalition. Wo ihre Vorgänger Kohl und Schröder, beide Polit-Zampanos alten Stils, schon mal defätistische Sprüche machten, ist Merkel loyal, vielleicht sogar aus Überzeugung. Ebenso wenig hat Merkel je mit den Fundamenten deutschen Wohlstands und deutscher Sicherheit gespielt, sondern sie sorgsam gepflegt. Die EU wie die Nato, die UNO wie die Freundschaft zu Amerika. Die Deutschen fühlten sich mit ihr an der Spitze deshalb mehrheitlich sehr lange sehr viel sicherer als mit jedem anderen vorstellbaren Kanzler.

All das waren Faktoren dafür, dass die jetzt 65jährige seit Sonntag länger amtiert als Konrad Adenauer. Das schafft nicht jeder. Und das in einer parteipolitisch viel unübersichtlicheren Lage. Helmut Kohl hat den Regierungsrekord nur deshalb – und wahrscheinlich uneinholbar – übertroffen, weil ihm Mauerfall und Wiedervereinigung mitten in der Amtszeit einen zweiten Atem gaben.

Eines hat Angela Merkel freilich so wenig geschafft wie ihre beiden großen CDU-Vorgänger: Einen Abgang auf dem Höhepunkt des Schaffens. Acht, maximal zwölf Jahre scheinen so etwas wie eine maximale natürliche Kanzler-Amtszeit zu sein. Danach setzt Überdruss ein. Ende 2016 wäre der Punkt gewesen zu sagen: Deutschland braucht eine neue politische Generation an der Spitze. Doch da verließ Merkel der Instinkt. Wie alle sich unentbehrlich Dünkenden dachte sie, sie müsse für ihre CDU noch einmal vier Jahre dranhängen. Doch unentbehrlich ist sie nicht. So wenig wie es Adenauer war, der von seiner Partei am Ende regelrecht aus dem Amt getragen werden musste.

Es kommen nun zwei Jahre, in denen Angela Merkel noch manches Mal darum wird kämpfen müssen, wenigstens in Würde abtreten zu können. Denn eine Wirkmacht hat sie nicht mehr. Man erinnere sich, wie sie einst mit entschlossen Entscheidungen den Atomausstieg bewirkte, die Aufnahme der Flüchtlinge, den Ausbau der Kinderbetreuung, die Abschaffung der Wehrpflicht, die Homoehe, den deutschen Beitrag zum internationalen Klimaschutz. Und vieles mehr. Zwei Jahre lang wird es für Deutschland und Merkel nun jedoch besser sein, solche Situationen und Entscheidungen stünden nicht wieder an. Zwei Jahre Stillstand auch aus dieser Richtung, nicht nur wegen der zerstrittenen, sich selbst blockierenden GroKo. Denn die mit der Kanzlerschaft verbundene Richtlinienkompetenz hat derzeit keine Adresse mehr.

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