Flüchtlingstragödien: Viele werden vom Meer verschluckt

Illegale Immigranten liefern sich mit den Grenzschützern ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel.

Teneriffa. Seit Europa seine südlichen Wassergrenzen mitKüstenwachtschiffen und Aufklärungs-Flugzeugen abschotte, sei dieFlucht für die afrikanischen Migranten noch gefährlicher geworden, sagtLuc Andre Diouf. Und das Risiko, unterwegs zu sterben, noch vielgrößer. Der gebürtige Senegalese ist Einwanderungsbeauftragter einerGewerkschaft auf den zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln und kenntdurch seinen Job unzählige Flüchtlingstragödien.

Diese "Abschreckungsmission" der EU-Grenzschutzagentur Frontex,kritisiert er, verlängere den ohnehin riskanten Weg der illegalenImmigranten. Sie müssten nun nicht nur mit dem Meer kämpfen, sondernauch versuchen, in einem Katz- und Mausspiel den Grenzschützernauszuweichen. Die Angst, nach Hause geschickt zu werden, ist groß.

Das erklärt vielleicht auch, warum jene etwa 135 Afrikaner, die mitihrem 20 Meter langen Holzkahn Richtung Kanaren unterwegs waren, "sehrnervös" wurden, als plötzlich zwei orange Schiffe des spanischenSeenot-Rettungsdienstes ihre Schweinwerfer auf sie richteten. "Sitzenbleiben, Ruhe bewahren", riefen die Matrosen den Afrikanern durch dieBordlautsprecher zu.

Zu spät: Einige Insassen des völlig überladenen Bootes sprangen auf,das Schiff bekam Schlagseite. Eine meterhohe Welle gab dem Kahn denRest: Er kenterte. 48 Menschen konnten gerettet werden, 90 Afrikanerertranken.

"Die tragen oft mehrere T-Shirts, Pullover und Hosen übereinander",berichtet ein Helfer. Um sich vor Wind, Feuchtigkeit und nächtlicherKälte während der tagelangen Überfahrt zu schützen. "Sie sitzen wieSardinen in den Booten." Können die Körperglieder nicht bewegen. Bis zuzehn Tage sind sie so unterwegs, wenn sie - wie meist - von Senegaloder Gambia ablegen und dann die rund 2000 Kilometer entfernten Kanarenansteuern. "Wenn die plötzlich ins Wasser fallen, versinken sie wieSteine."

Dieses Drama war nicht die einzige, aber die bisher größteFlüchtlingstragödie, die sich vor den Augen der spanischen Behördenereignete. Dutzende Migrantenboote werden vom Meer verschluckt, ohnedass jemand in Europa Notiz nimmt. Insgesamt bis zu 3000 Afrikanerertranken 2006 auf dem Weg nach Europa.

Wie im März 2006, als irgendwo zwischen Senegal und den Kanaren einFluchtkahn mit mehr als 80 Insassen verschwand. Durchweg junge Männeraus dem verarmten Fischerdorf Thiaroye, wo der Fang im Meer nichts mehreinbringt. Ihre Familien hatten das Geld gespart, damit der stärksteihrer Söhne nach Europa gehen konnte, um Arbeit zu suchen. 700 Eurokostete die Reise, die mit dem Tod endete.

"Viele senegalesischen Söhne haben schon ihre Leben geopfert, um zuversuchen, ihre Familien zu ernähren", erzählt Yaye Bayern, die ihrenSohn Alioune auf diese Weise verloren hat. Die 48-Jährige gründete die"Dorfvereinigung der Mütter und Witwen". Sie wirbt für Mikrokredite, umihrem Dorf eine bessere Zukunft zu eröffnen. Und reist nach Spanien, umdort von den Problemen und ihrem kleinen Hilfsprojekt zu berichten, mitdem sie die Massenflucht der jungen Generation stoppen will.

Unzählige Afrikaner wollten nach Europa, weil sie zu Hause keinePerspektiven haben, weiß auch der kanarische Einwanderungsexperte LucAndre Diouf. "Sie kommen wegen der Kriege, der Trockenheit, des Hungersund anderen Ursachen." Und eines der nächsten Ziele von derwestafrikanischen Küste aus seien nun einmal die Kanarischen Inseln.Von Nordafrika geht es derweil zum südspanischen Festland, zuritalienischen Insel Lampedusa oder nach Malta.

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