20. Juli: Tom Cruise Graf von Stauffenberg

Historie: Der Gedenktag zum 20. Juli steht im Schatten des Drehbeginns.

Berlin. So hitzig wie in diesen Tagen wurde über den 20. Juli schon seit langem nicht mehr diskutiert. Und das, obwohl Claus Schenk Graf von Stauffenberg vor unrunden 63 Jahren mit seinem Hitlerattentat scheiterte.

Die erhöhte Aufmerksamkeit liegt weniger daran, dass die Deutschen sich wieder für den späten Aufstand der bürgerlichen Moral gegen das faschistische Regime interessieren. Wahrscheinlich auch nicht daran, dass Altkanzler Helmut Kohl gestern Redner war bei der traditionellen Gedenkveranstaltung mit dem Gelöbnis von 450 Soldaten im Berliner Bendlerblock - dem Ort, wo Stauffenberg und drei weitere Widerstandskämpfer nach dem gescheiterten Attentat am 20. Juli 1944 erschossen worden.

Nein - Auslöser des Rummels ist einer, der gar nicht in den Bendlerblock hinein darf: Tom Cruise. Der US-Darsteller spielt in der Filmproduktion "Valkyrie" - benannt nach dem Codewort der Attentäter - den Stauffenberg. Das Drehverbot für den Bendlerblock löste eine Debatte aus, die noch immer andauert. Darin geht es um die Deutungshoheit der Deutschen über ihre eigene Geschichte und um die Frage, ob ein Scientology-Mitglied wie Cruise eine Heldenfigur verkörpern darf.

Zuletzt äußerte sich der letzte Überlebende des engsten Kreises um Stauffenberg, Philipp Freiherr von Boeselager, zu Wort. Er befürworte die Besetzung nur, wenn Cruise "zwischen der Sekte, die er vertritt, und dem Film unterscheiden kann".

24 Stunden vor dem Jahrestag war Drehbeginn. Während Repräsentanten des Bundesrats und der Bundeswehr gestern im Hof des Bendlerblocks Kränze niederlegten, drängten sich Menschenmassen an den Absperrungen im brandenburgischen Amt Schenkenländchen. Mitten im Wald wurde dort für den Film das ostpreußische Führerhauptquartier "Wolfsschanze" nachgebaut.

Es scheint, als behalte Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck mit seiner These recht, Cruise werde sein "Superstar-Licht" auf das geschichtliche Ereignis werfen. Ob man letzterem damit gerecht wird, ist fraglich. Mit der Interessensverschiebung von der historischen Figur auf den, der sie symbolisieren soll, geht jedenfalls eine Verflachung einher. Statt über die Beweggründe Stauffenbergs nachzudenken, der als Adeliger die Nazis weniger als Verbrecher denn als Pöbel sah, ereifern sich die Berliner Boulevardblätter gestern darüber, dass Gürtelschnalle und Kragen von Tom Cruise Wehrmachtsuniform nicht originalgetreu sind - die silbernen Spiegel hätten karmesinrot unterlegt sein müssen.

Dennoch, fest steht: In Deutschland hat man sich erst spät auf Stauffenberg als positive Figur geeinigt. Heute ist das Gedenken an den militärischen Widerstand gegen Hitler selbstverständlich geworden, aber auch ein Stück weit zur Routine aus Kranzniederlegungen. Man mag es nun gut oder schlecht finden, aber diese Routine hat Tom Cruise bereits durchbrochen. Auch mit falscher Gürtelschnalle.

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