Nach dem Augentropfen-Unfall: Der kleine Linus ist fast blind

Erstmals äußern sich die Eltern über ihren Sohn, seine Verletzungen und die Chancen, die Augen noch zu heilen.

Wuppertal. „Ja, es gab Tage, da sind wir weinend aufgewacht und haben nicht aufgehört zu weinen“, sagt Mirjam Ordowski. Sie ist die Mutter des nahezu blinden Babys Linus. Das Frühchen, dem am 7. Februar in der Wuppertaler St. Anna-Klinik mit einer um ein Vielfaches zu hoch dosierten Flüssigkeit die Augen verätzt worden waren, entwickelt sich wie die meisten Kinder in seinem Alter. Was und wie viel er allerdings von seiner Umgebung sehend wahrnimmt, wissen nicht einmal Augen-Experten.

1000fach zu stark sollen die Tropfen gewesen sein, die die Pupillen für die Untersuchung weiten sollten, die von der Kölner Apotheke gemischt wurden. Wer das Rezept ausgestellt, wer falsch gemischt oder ohne Prüfung die Tropfen verabreichte, ermittelt die Wuppertaler Staatsanwaltschaft. Die Apotheke gehört zum Verbund der St. Anna-Klinik.

Erstmals äußerten sich Mirjam und Marcus Ordowski vor der Presse. Die Familie macht der St. Anna-Klinik und der Helios-Klinik, zu der die behandelnde Augenärztin gehörte, schwere Vorwürfe. Sie habe sich nach dem Unglück allein gelassen gefühlt, sei ohne psychologische Betreuung geblieben, klagt die Mutter.

Zuvor hatte Linus’ Großvater, Eugen Ordowski, den Behandlungsfehler öffentlich gemacht. Bis in die bundesweit ausgestrahlte Talkshow „Hart, aber fair“ trug der Diplom-Ingenieur das Schicksal seines kleinen Enkels — mit Erfolg. Keiner in der Familie mag sich ausmalen, was alles nicht passiert wäre, wenn aus dem unscheinbaren Unglücksopfer nicht eine kleine, vielbeachtete Persönlichkeit geworden wäre.

Die Folgen: Als die Familie an die Öffentlichkeit ging, hätten die Verantwortlichen in der Wuppertaler Klinik gar nicht mehr oder nur noch unter Zeugen mit ihr geredet.

Mehr noch: Als sie bei der Untersuchung, die zu Linus’ Sehverlust führte, eingeschritten sei, hätte sie sich danach harsche Kritik anhören müssen.

Dreimal sollten den Frühchen am Unglückstag die Tropfen gegeben werden, schon beim ersten Mal sollen alle Babys wie am Spieß geschrien haben. Die behandelnde Oberärztin beruhigte zunächst die Mutter. „Aber Linus schrie herzergreifend“, erinnert sich Mirjam Ordowski. „Wenn die Kinder so leiden, brechen wir das hier ab“, habe sich Ordowski gegen die Ärztin gewehrt und damit wohl den anderen Frühchen der Routineuntersuchung das Augenlicht erhalten. Die hatten beide erst eine Tropfenration bekommen, Linus die zweite.

Die Hiobsbotschaft, die dann kam, veränderte das Leben der Familie. Doch sie kämpfte, konsultierte Fachärzte. Mit Hilfe zweier Augenheilverfahren war die Sehkraft auf dem linken Auge ein wenig zurückgeholt worden. Spezialisten in Erlangen, Köln und Freiburg kümmern sich um Linus. Von einer Hornhaut-Transplantation raten sie noch ab. Zu hoch sei das Risiko für das geschwächte Baby, sagen sie.

Mirjam Ordowski: „Auch wenn unser Kind auf beiden Augen wieder gesund werden sollte: Das richtige Sehen wird er nie mehr lernen können.“

Die Kliniken erklärten: Die bei der Behandlung eingetretenen Verletzungen dreier Kinder berühre alle Beteiligten. Ursache für die Gabe von falsch zusammengesetzten Augentropfen seien eine Falschübermittlung der Rezeptur unter den Ärzten sowie eine unvollständige Prüfung in der Apotheke gewesen.

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