Großes Theater, wenig Poesie

Tolle Stimme, aber kaum Gefühl: Die Sängerin Helen Schneider versteckt sich hinter der großen Geste.

Zierlich, blass, schwarz gekleidet und mit roten Lippen - so kennen die Deutschen Helen Schneider seit Anfang der 80er Jahre. Damals hatte Udo Lindenberg die Anfang 30-Jährige in New York entdeckt. Mit einer gemeinsamen Tour und mit Auftritten in Alfred Bioleks Sendung "Bio’s Bahnhof" wurde sie als Rocksängerin mit der Single "Rock’n’Roll Gypsy" hierzulande bekannt. Doch die Karriere als Rock-Zigeunerin währte nur kurz. Dann wandte sich Helen Schneider dem Musicalfach zu, spielte etwa im Berliner Theater des Westens die Sally Bowles in "Cabaret" oder in Andrew Lloyd Webbers "Sunset Boulevard".

Zierlich, blass, schwarz gekleidet und mit roten Lippen - so steht Schneider auch auf der Bühne im Forum am Kipdorf. Mit "AWalk on the Weill-Side", einem Programm das sie vor 20Jahren konzipierte, will sie die Komponisten Stephen Sondheim und Kurt Weill musikalisch zusammenführen. "Denn bei allen Unterschieden, haben sie doch viel gemeinsam", schickt die 55-Jährige voraus. "Und jetzt verschwinde ich."

Und Helen Schneider verschwindet. Nicht physisch, doch hinter sämtlichen Rollen der von ihr präsentierten Songs. Nur selten wird die Sängerin dem intimen Rahmen gerecht, den sie durch die Reduzierung auf Piano (Bruce W. Coyle) und ihre Stimme auf einer ansonsten leeren Bühne wählt. Beinahe in jeder Darbietung greift sie zur großen Geste, versteckt sich hinter melodramatischem Ausdruck und operettenhaftem Gesang. Dieser ist stimmlich perfekt, musikalisch einwandfrei. Doch um es mit Dieter Bohlen zu sagen: "Es fehlte die Haut von Gans!"

Vor allem im ersten Teil mit den Musicalnummern Stephen Sondheims fremdelt man mit dieser maskenhaften Theatralik. Da jagt sie mit weit aufgerissenen Augen und mädchenhaftem Habitus der äußeren Gestaltung der Lieder nach, ohne sie mit passendem Gefühl zu füllen. Im eigentlich vor Resignation und Sarkasmus strotzendem "Send in the Clowns" verharrt Schneider in der bloßen leidenden Pose. Das vielen durch das Pet-Shop-Boys-Cover (mit Liza Minelli) bekannte "Loosing my mind" fährt sie mit aufgesetzter und gänzlich übertriebener Show ganz gegen die Wand. Jeder Poesie wird in Theaterschminke erstickt.

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