Begrabt mein Herz in Wuppertal „Damit können Sie ins Gras beißen“

WZ-Kolumnist Uwe Becker über seine Erfahrungen mit Zahnärzten.

Begrabt mein Herz in Wuppertal: „Damit können Sie ins Gras beißen“
Foto: Joachim Schmitz

Als ich neulich zur halbjährlichen Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt war, erinnerte ich mich an meine von schlimmen Zahnschmerzen geprägte Kinder- und Jugendzeit. Meine Eltern hatten es versäumt, das erforderliche Zähneputzen streng zu kontrollieren. In dieser Zeit war Karies mein zweiter Vorname. Wenn andere Kinder zu Müllers-Marionettentheater gingen, musste ich wieder zum Zahnarzt. Wenn im Fernsehen ein schöner Film lief, den ich mal anschauen durfte, peinigten mich rasende Zahnschmerzen. Ich lief dann im Kinderzimmer auf und ab und hielt mir einen kalten Waschlappen an die Backe.

Von meinen ersten 16 Lebensjahren verbrachte ich gefühlte zwölf Jahre in einer zahnärztlichen Praxis. Wenn ich mich damals in der Schule während des Unterrichts meldete, hatte ich weder eine Frage, noch wollte ich zur Toilette oder gar Wissen kundtun, nein, ich hatte Zahnschmerzen und wollte nach Hause. Der Zahnarzt, zu dem auch der Rest meiner Familie ging, hatte seine Praxis nur drei Häuser weiter, direkt neben der Bäckerei. Der Arzt schenkte mir zwar nach jeder Behandlung einen gebrauchten Tennisball, ging aber oft hart mit mir ins Gericht. Ich erinnere mich, dass er mich einmal nicht behandeln konnte, weil meine Zunge angeblich im Weg war und er meinen faulen Backenzahn so nicht ausbohren konnte. Solche Vorkommnisse machten den regelmäßigen Gang zum Zahnarzt für mich nicht gerade einfacher.

In der Nachbarschaft wurde zudem darüber geredet, dass der Zahndoktor dem Alkohol wohl sehr zugetan sei, was mich wiederum noch stärker als unbedingt nötig ängstigte. Als ich mit meinen Eltern an einem Sonntagvormittag vom Kirchgang kam, torkelte mein Zahnarzt aus dem Bremme-Stübchen an der Ecke. Anscheinend war das Gerede der Nachbarschaft nicht nur spekulativ. Bei meinem nächsten Praxisbesuch vernahm ich während der Behandlung auch einen starken Alkoholgeruch. Nach der schmerzvollen Sitzung sagte er zu mir, ich solle bitte zu meinem Vater gehen und 100 Mark holen, das Geld bekäme man ja von der Barmer Ersatzkasse zurück. Ich berichtete meinem Vater von der Bargeldforderung des Zahnarztes und kaufte mir am Kiosk erst einmal eine leckere Zuckerstange, die neue Füllung im Backenzahn musste ja gefeiert werden. Papa rief dann sofort beim Doktor an und lehnte die Zahlung ab: „Sie bringen das Geld doch nur wieder direkt in die Kneipe!“

Wir wechselten dann den Zahnarzt, mit dem ich aber, wie mit vielen nachfolgenden auch, nicht recht glücklich wurde. Der Zahnschmerz blieb über viele weitere Jahre ein treuer und unangenehmer Begleiter. Irgendwann bekam ich meine ersten Brücken, die später bei der Verköstigung von Mehrkorn-Brotkrusten brachen. Inzwischen habe ich mit der zahnärztlichen Zunft meinen Frieden geschlossen. Mein aktueller und wohl letzter Zahnarzt verpasste mir unten und oben eine Teleskopprothese mit den Worten: „Herr Becker, das war’s, damit können Sie ins Gras beißen!“ Ganz mein Humor.

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