Arbeit und Aids: Von der Panik, aufzufliegen

Der Beruf gehört immer öfter zum Leben mit HIV – doch viele Betroffene werden von Kollegen massiv diskriminiert. Ein Bericht zum Welt-Aids-Tag.

Wuppertal. Seine tägliche Tabletten-Dosis nimmt er heimlich hinter vorgehaltener Hand. Für seinen lang anhaltenden Schnupfen lässt er sich immer wieder irgendeine Ausrede einfallen. Kontakte zu Kollegen vermeidet er, um ja nicht aufzufliegen. Fabian F. arbeitet im Außendienst eines Handwerkbetriebs und lebt in ständiger Angst, dass seine Kollegen oder der Chef erfahren, dass er HIV-positiv ist. "Ich habe mich nicht als schwul geoutet und verschweige meine Krankheit - ich verleugne meine ganze Identität", sagt der junge Mann. "Das Versteckspiel kostet viel Kraft. Ich hasse es, ständig lügen zu müssen."

Schweren Herzens unterschrieb er den Arbeitsvertrag seiner Firma. In einer Passage hieß es dort: "Der Arbeitnehmer erklärt, dass er arbeitsfähig ist, an keiner ansteckenden Krankheit leidet und keine sonstigen Umstände vorliegen, die ihm die vertraglich zu leistenden Arbeit jetzt oder in naher Zukunft wesentlich erschweren oder unmöglich machen." Seine Schwerbehinderung hat Fabian F. demnach verschwiegen. Lieber verzichtet er auf fünf zusätzliche Urlaubstage, als nur noch der Kollege mit der schmutzigen "Schwulenseuche" zu sein, wie er verbittert zugibt. "Ich habe Angst, dass dann alle Vorurteile auf mich zu rollen." Sogar wenn er krank ist, schleppt er sich zur Arbeit - um ja nicht aufzufallen.

Auch Sandra K., die in Teilzeit in einem Büro arbeitet, hat sich schnell von der Idee verabschiedet, ihren Kollegen von der HIV-Infektion zu erzählen. Eine Vertraute, die im Betriebsrat des gemeinsamen Arbeitgebers sitzt, hat ihr klar abgeraten. Eine Entscheidung, die sich im Nachhinein als richtig erwies. Wenig später hörte Sandra K. von einem männlichen positiven Kollegen aus einer anderen Abteilung, der sich geoutet hatte. Seine Kollegen reagierten mit einer Unterschriftenaktion, weigerten sich weiter mit ihm zu arbeiten. Er wurde unter einer fadenscheinigen Ausrede an einen anderen Standort versetzt.

Seitdem ist sie hin-und hergerissen: Einerseits will sie ihre Kollegen nicht anlügen, andererseits ist da die Panik, entdeckt zu werden: "Als Positive war man entweder ein Drogi oder ein Flittchen, aber nie eine ganz normale Frau", sagt die Mutter einer Tochter. Die ständigen Lügereien sind für sie ein "ewiger Spießrutenlauf". Neben der Angst vor Diskriminierung und dem psychischen Druck kommen auf HIV-Positive andere Belastungen zu: Die Arbeit strengt sie sehr an, oftmals sind sie fix und fertig, wenn sie nach Hause kommen. Die erforderlichen regelmäßigen Arztbesuche lassen sich schwer mit den Arbeitszeiten koordinieren.

Für Peter W., der im sozialen Bereich arbeitet und offen mit seiner Erkrankung umgegangen ist, kam noch etwas anderes hinzu: "Ich hatte vor, in dem Unternehmen Karriere zu machen. Aber HIV war der Karriereknick." Heute kann er nur halbtags arbeiten. "Das nagt am Selbstbewußtsein. Einen beruflichen Wechsel traue ich mir nie zu." Obwohl sein berufliches Umfeld durchaus sensibel für das Thema ist, wurde er mehrfach Opfer von Schmutzkampagnen gegen Schwule aus seinem entfernten Kollegenkreis. "Wenn’s um die Karriere geht, ist das eine Schwäche, die gerne ausgenutzt wird", sagt Peter W.

Der Welt-Aids-Tag hat sich das Thema Arbeiten mit HIV auf die Fahnen geschrieben. Dank des Therapiefortschritts sind Betroffene längst keine "Todgeweihten" mehr. Viele sind gesundheitlich stabilisiert und können ihren Beruf fortsetzen. Michael Jähme von der Aids-Hilfe: "Menschen mit HIV und Aids als Bedrohung und Gefahrenquelle anzusehen, ist faktisch falsch und menschenunwürdig. Wir brauchen ein "update" in der Gesellschaft, wie Leben mit Aids im Zeitalter wirksamer Therapien aussieht."

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