Michael-Ende-Gymnasium Nicht ignorieren – Haltung zeigen

St. Tönis · Schüler des Michael-Ende-Gymnasiums arbeiten ihre Fahrt nach Auschwitz auf. Eine Lektion auch für das Leben im Hier und Heute.

 Lehrer David Wirth (l.) hat Hannah, Lisa und Nihan und weitere Schüler des Michael-Ende-Gymnasiums mit seinem Kollegen Oguz Dalli (nicht auf dem Foto) nach Auschwitz begleitet. 

Lehrer David Wirth (l.) hat Hannah, Lisa und Nihan und weitere Schüler des Michael-Ende-Gymnasiums mit seinem Kollegen Oguz Dalli (nicht auf dem Foto) nach Auschwitz begleitet. 

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Drei junge Frauen mit vielen Gemeinsamkeiten: Sie sind 18 Jahre alt, leben in Tönisvorst, besuchen die Q2 des Michael-Ende-Gymnasiums und wollen im Sommer mit dem Abitur in der Tasche die Schule verlassen.

Ende Februar waren sie mit weiteren 13 Mitschülern aus der Stufe in Auschwitz. Die Reise traten sie an, weil sie die Themen Holocaust, Ausgrenzung, Rassismus, die systematische Vernichtung von Menschenleben im Nazi-Deutschland nicht loslassen. Das MEG hat die jährliche Fahrt in seinem Schulprogramm verankert.

Sich zu interessieren, empfinden die Tönisvorsterinnen als eine Verpflichtung aus Verantwortung. „Es sollte eine Pflicht für jeden Deutschen sein, einmal Auschwitz zu sehen“, sagt Lisa. Sich erinnern, sich justieren in der festen Meinung, dass sich die in ihrer Dimension unbegreiflichen Geschehnisse nicht wiederholen dürfen. Das Ziel gilt für die drei Schülerinnen gleichermaßen.

Für Hannah und Lisa war die Fahrt ein Muss, um besser zu verstehen, auch gefühlsmäßig zu begreifen. Rassismus, der sich gegen sie persönlich wendet, erleben die beiden in ihrem Alltag nicht.

Das ist der Unterschied zu ihrer Schulfreundin. Nihan bekommt ihn gespiegelt. Im Ort, in der Schule, beim Kellnern, auch „durch staatliche Institutionen“, wie sie sagt. Mal sind es ausgrenzenden Sprüche, mal Blicke. „Rassismus spürt man“, sagt sie. Unterschwellig, schleichend, bewitzelt oder gerade heraus. „Scheiß-Türken.“

In die Aufarbeitung der Auschwitz-Fahrt mischen sich Gedanken zu aktuellen Geschehnissen. Zwei Tage vor Reiseantritt wurde aus Hanau eine Tat aus zutiefst rassistischer Gesinnung gemeldet: Ein 43-jähriger Deutscher erschoss neun Menschen mit Migrations-Hintergrund. Im vergangenen Oktober erschütterte eine rechte Attacke auf die Synagoge von Halle Politik und Gesellschaft bundesweit.

Hannah: „Die Motive sind immer gleich.“ Täter richteten sich gegen andere Kulturen, andere Religionen, andere Hautfarbe… Die drei Tönisvorsterinnen spüren die Verantwortung „als junge Generation“, dass sie „andere Ansichten weiter geben müssen“.

Aber sie stoßen auch an Grenzen. Weil sie erleben, dass Rassismus oft „abgelacht wird“. In Chats beispielsweise. Erst der Witz, dann ein „war ja nicht so gemeint“ hinterher. Daumen-hoch-Echo auf Geschmacklosigkeiten. Oder ein kollektives Schweigen. Damit werden Rassismus-Ansätze durchgewunken. Für einen schnellen Lacher ohne Reflektion.

Nihan: „Viele denken einfach nicht daran, wie sich die Person gegenüber fühlt, die dabei angesprochen wird.“ Es braucht Zivilcourage, um gegenzuhalten oder sich für andere einzusetzen. Die Informationsflut, der man ausgesetzt sei, sei heutzutage auch ein Problem, sagt Nihan.

Hannah findet es geschmacklos, über Juden Witze zu machen. Wenn sie aber darauf mit einem „darüber macht man keine Witze“ reagierte, wurde sie als Moralapostel bezeichnet.

Antisemitismus sei eher ein Tabu. Rassistische Äußerungen gegen Muslime oder gegen Flüchtlinge seien im Umlauf. „Machen sich viele einfach nur vor, offen zu sein, weil sie es sich wünschten, es aber nicht sind“, fragt sich Nihan. Lisa: „Solange wir nicht in unserer Freiheit eingeschränkt werden, haben wir nicht das Bedürfnis, uns zu diesen Tendenzen zu äußern.“

Oder man verpasst den richtigen Moment für Klartext. Hannah erzählt von einer Situation, die sie in Krefeld erlebt hat. Da herrschte ein Passant einen bettelnden Mann an. Nihan: „Ich dachte, „das hätte man auch netter sagen können“, habe das aber nicht laut gesagt und es später bereut.“

Die Fahrt nach Auschwitz, die Erkenntnisse und Erfahrungen von dort, haben die Schülerinnen in ihrer Überzeugung, dass man vieles nicht einfach so stehen lassen dürfe, bestärkt. Hannah, die sich sonst eher zurückgenommen habe, sagt über sich: „Ich bin gesprächiger geworden, will mitdiskutieren.“ Jedes Land sollte sich vor Augen führen, dass so etwas passieren kann. Lisa sieht gute Ansätze: „Es gibt bei uns viele Leute, die sich einsetzen.“

Lisa und Hannah scheinen die Hellhörigkeit von Nihan besser nachvollziehen zu können, die meint, dass sie für Anerkennung oft mehr leisten müsse, und sich fragt: „Ich lebe hier. Ich spreche fließend Deutsch. Was muss ich noch leisten, um anerkannt zu sein?“

Wenn einem Rassismus doch direkt und unvorbereitet entgegenschlägt, was dann? Dann trifft es. Verunsichert. Und löst zugleich Widerspruch aus. Das hat Lisa erlebt: „Ich war in einem internationalen Sommercamp in Kanada. Da hieß es: „die Deutschen, die Nazis“. Und es kursierten krasse Vergasungswitze.“ Krass sei die Ignoranz mancher gewesen. „Weil sie sich nie mit dem Thema beschäftigt haben.“

Nicht ignorieren. Haltung zeigen. Die Lektion haben die Schüler gelernt. In Auschwitz - zeitlich und räumlich weit weg. Aber mit aktuellem Bezug zu ihrem Hier und Jetzt. Erst am Montag sagte Herbert Reul, Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, laut Pressebericht bei seinem Besuch in Viersen zum Thema „Rechtsextremismus“: „Was sich da in Deutschland im Moment entwickelt, ist außerordentlich besorgniserregend.“

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