Tönisvorst Das Akkordeon gehört zur Familie

Sigrid Schumacher nimmt seit 60 Jahren für ihr Stammorchester das 16 Kilogramm schwere Instrument auf die Schultern. Sie ist die einzige aktive Spielerin des Akkordeonorchesters aus der Gründerzeit.

St. Tönis. Sigrid Rath war 14 Jahre alt, als sie eine Verbindung fürs Leben einging. Es war der Nikolaustag 1957. Die junge St. Töniserin trat dem neuen Akkordeon-Orchester 1957 in ihrem Heimatort bei.

Tönisvorst: Das Akkordeon gehört zur Familie
Foto: Friedhelm Reimann

Die Urkunde, die sie heute als einziges noch aktives Mitglied dieser Gründerzeit verbrieft, unterzeichneten damals der Vorsitzende Hubert Höfkes und Kassierer Jakob Schumacher. Damit gehörte die junge Sigrid zu den 16 Vereinsgründern. Diesen Status haben laut Satzung alle, die bis zum 31. Dezember 1957 dem Akkordeon-Orchester beitraten.

Tönisvorst: Das Akkordeon gehört zur Familie
Foto: Reimann

Zu dem Zeitpunkt war noch nicht abzusehen, dass Sigrid Rath, heute Sigrid Schumacher, und ihr Akkordeon einige Jahre später einen weiteren Bund fürs Leben eingehen würden.

Das Orchester war erst sechs Wochen zuvor aus der Taufe gehoben worden. Rolf Schumacher, damals 18 Jahre jung, nahm seit sechs Jahren Akkordeonunterricht bei dem St. Töniser Musiklehrer Edy Willems. In der Chronik des Vereins ist die Initialzündung des talentierten jungen Mannes für die Vereinsgründung protokolliert.

Schumacher jun. hatte sich am 20. Oktober auf sein Fahrrad geschwungen. Im Gepäck „seine Idee von der Gründung eines Akkordeon-Orchesters“. Dafür warb er bei den ihm bekannten weiteren sieben Akkordeonspielerinnen und -spielern in St. Tönis und lud sie für Sonntagmorgen, 27. Oktober 1957, in die Wohnstube seiner Eltern zur Marktstraße 17 ein.

Sein Vater, Jakob Schumacher, Hubert Höfkes, Helmut Anstötz, Heinz Thorenz, Josef Kanters, Dieter Siegeler, Helmut Engelskirchen, Hanny Porten und Sigrid Biermord gründeten an diesem Tag mit Rolf Schumacher den Verein.

Das Akkordeon hatte damals als Instrument bereits einen hohen Stellenwert. Sigrid Raths Eltern unterstützten die musikalische Ausbildung ihrer Zwillingstöchter. Sigrid spielte Akkordeon, ihre Schwester Gudrun Gitarre. Ein Foto aus dem Familienalbum zeigt beide Mädchen beim ersten Elternabend des Akkordeon-Orchesters 1958 mit ihren Instrumenten im Saal der Gaststätte Bruckes.

Einmal in der Woche, freitags, kam man dort zu den Proben zusammen. „Zwei Jahre später“, erzählt Rolf Schumacher, „freundeten Sigrid und ich uns an. Wir haben damals die Noten getauscht“. Erstaunt stellten beide irgendwann fest, dass sie am selben Tag Geburtstag haben.

Die Liebe zur Musik und die Geselligkeit des Vereins führte zu vielen Einträgen in den Jahres-Chroniken. Die hat Schumacher bis zum Jahr 2003 in Aktenordnern lückenlos archiviert. Die Liste der Konzerte — unter anderem im Marienheim, in Haus Wirichs und in der Rosentalhalle — wurde immer länger. Hinzu kamen Fotos von gemeinsamen Ausflügen, Wanderungen, Karnevalsfeiern, Stiftungsfesten und Konzertreisen ins niederländische Appeldoorn, ins französische Sees und ins Glottertal.

Die St. Töniser Orchester-Gemeinde wuchs. Schon 1958 war man zu der Überzeugung gelangt, „dass eine Vergrößerung des Vereins nur durch Eigeninitiative durchführbar sei“, heißt es in der Vereins-Biografie.

Helmut Anstötz und Rolf Schumacher gaben privaten Akkordeon-Unterricht. Ein Schülerorchester wurde dem Verein angegliedert. Dirigent wurde Rolf Schumacher. Die Melodica-Spielgruppe mit zeitweise mehr als 60 Kindern sicherte den Musiker-Nachwuchs. Weit mehr als 400 Mitglieder umfasste das Akkordeonorchester in den 70er Jahren. Sie spielten im A-, B- und C-Orchester.

Ab 1961 wurde das Akkordeon-Orchester auch eine Familienangelegenheit. Sigrid und Rolf heirateten. Ihre drei Kinder Elke, Astrid und Uwe waren später auch im Verein, Elke unter anderem als Leiterin der vereinseigenen Tanzgruppe „Mascara“.

Rolf Schumacher hat das Akkordeonspiel, das er 35 Jahre lang im Stammorchester und davon zusätzlich fünf Jahre im weniger konzertanten Hobby-Orchester ausübte — mittlerweile aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen. Sein Instrument, das er seit 1957 auf die Schultern genommen hat, hat er vor zwei Jahren verkauft. Damit ist Sigrid Schumacher heute noch die einzige aktive Spielerin seit Gründerzeit.

Das Jubiläumskonzert zum 60-jährigen Vereinsbestehen, das am 25. November im Forum Corneliusfeld gefeiert wird, wird auch ihr persönliches Jubiläum. „Ich freue mich jede Woche auf Freitag, auf unsere Probe. Mein Mann trägt mir immer das Instrument. Ich spiele solange weiter, wie meine Finger das mitmachen.“

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