Schulungen: Hebammen helfen Familien in Notlagen

Am Allgemeinen Krankenhaus will man den Schutz vor Gewalt in Familien verstärken.

Viersen. "Wir können gar nicht früh genug damit anfangen", sagt Wolf Lütje, Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe am Allgemeinen Krankenhaus Viersen (AKH). "Damit" - das ist die Sorge für das Wohl der Kinder. Oder, nicht so schön ausgedrückt, der Schutz vor möglicher Gewalt in Familien. Mit dieser Sorge beginnt man in vielen Fällen in Viersen schon, bevor das Kind geboren ist. Das scheint nötig.

Immerhin suchen knapp die Hälfte aller Schwangeren in Viersen eine Schwangerschaftskonfliktberatung auf. Birgit Kruse, die Leiterin von Donum Vitae, kennt dafür viele Gründe. Der meistgenannte ist das fehlende Geld, gefolgt von Partnerschaftsproblemen und einem Gefühl der Überforderung, das sich immer mehr ausbreitet.

"Wir versuchen, diese Frauen und Familien zu stärken, ihnen zu sagen, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, wenn sie sich Hilfe holen, sondern eines von Stärke", erklärt Kruse. Trotzdem gibt es Schwellenängste - gerade in Richtung des Jugendamtes.

Im AKH hat man deshalb damit begonnen, "ganz normale" Nachsorgehebammen, die in den Tagen nach der Geburt die Familien weiterbetreuen, wenn sie das Krankenhaus verlassen haben, zu schulen. "Familienhebammen gibt es überall, aber dass flächendeckend die Hebammen geschult werden sollen, das ist so bundesweit einmalig", ist Lütje von seinem Projekt, das von verschiedenen Fördertöpfen lebt, überzeugt.

Er möchte, dass jede Frau, die in Viersen entbindet, auch von ihrem Recht Gebrauch macht, in den zehn Tagen nach der Geburt von einer Hebamme besucht zu werden. Sollten dann Still- oder sonstige Schwierigkeiten auftreten, kann diese Zeit auch verlängert werden. Das zahlt die Krankenkasse. "Wenn dann jede Familie eine Hebamme nimmt, und jede Hebamme geschult ist in Gewaltprävention", dann sei ein fast optimaler Zustand erreicht, so Lütje. Sein Zauberwort heißt "Netzwerk".

Die Zusammenarbeit mit allen, die im Bereich der Gesundheit für Mutter und Kind arbeiten, tauschen sich jetzt schon aus und sollen noch enger zusammenrücken.

Ein wichtiger Part in der Stärkung der Familien ist für die Viersener Ärzte die Förderung der frühen Bindung zwischen Mutter und Kind. Hier habe man sehr viel dazugelernt, sagt Christoph Aring, Chefarzt der Kinderklinik.

Noch 2002 seien etwa 30Prozent der Neugeborenen vom Kreißsaal aus in die Kinderklinik gekommen, "weil wir uns dem Diktat der Sicherheit verpflichtet fühlten". Heute verbrächten die Kinderärzte oft mehr Zeit im Kreißsaal, beobachteten die Kinder, um sie dann bei der Mutter zu lassen, wenn sie sich schnell stabilisieren. Der Erfolg: Nur noch zehn Prozent kommen in die Kinderklinik. Das Problem sind die Finanzen.

"Es ist eigentlich ein gesellschaftliches Phänomen, dass die Familien immer häufiger und schneller überfordert sind", so Aring. "Aber es wird zu einem medizinischen gemacht und den Krankenkassen aufgedrückt." Damit spielt er auf die "Pflicht" zu Vorsorgeuntersuchungen an. Wer sein Kind da nicht hinbringt, muss mit Besuch vom Jugendamt rechnen.

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